TodesUrteil

Mit den beglaubigten Abschriften des Urteils gegen Gabriel Weber in den Gerichtsakten zu seiner Frau und in der kriminalbiologischen Akte stehen uns ab Februar 2015 endlich Informationen zum Fall Weber zur Verfügung, um die der Sohn Leo sich seit 1945 vergeblich bemüht hat.  Die Ermittlungsakten und Handakten der Staatsanwaltschaft, die Anklageschrift, die Vollstreckungs- und die Gnadenakte bleiben verschollen- bis auf die Seiten 85 bis 87 aus der Ermittlungsakte Gabriel Weber, die als Abschriften in den Gerichtsakten des Landgerichts Köln zur Ehefrau Maria zu finden sind. Seit 2016 liegen nun auch die Ermittlungsakten der Kriminalpolizeit und der Ermittlungsbericht der Stadt Brühl wie auch die Anklageschrift vor. Verschollen bleiben die Handakten der Staatsanwaltschaft und die Gnadenakte.

 

"Rechtlicher" Hintergrund

Hier die im Urteil genannten Paragrafen, auf deren Grundlage das Sondergericht I in Köln das Todesurteil gegen Gabriel Weber gesprochen hat:



1. Volksschädlingsverordnung (VVO)

 


§ 4  Ausnutzung des Kriegszustandes als Strafverschärfung

 

Wer vorsätzlich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außergewöhnlichen Verhältnissen eine sonstige Straftat begeht, wird unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tode bestraft, wenn dies das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat erfordert.

(Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939) (zit. WROBEL 1991)

 

Hinweis: 1939 werden bereits 3113 Personen auf Grundlage der Volksschädlingsverordnung verurteilt, 1942 sind es bereits 5060 Personen. LÖFFELSENDER kann für die durch das Kölner Sondergericht verurteilten weiblichen Beschuldigten (124 Frauen) genaue Zahlen liefern:

Wurden bis 1942 keine Frauen als Volksschädlinge mit dem Tode bestraft, so waren es 1942 gleich 3, 1943 1 und 1944 2. Höchstand:  1942. Auch was das Durchschnittsstrafmaß für die Frauen anbetriffr, ist das Jahr 1942 herausragend. Das durchschnittliche Strafmaß betrug in Monaten 41,6, in den Jahren davor und dahinter lag es um mindestens 4 Monate darunter.

 

 


2. Kriegswirtschaftsverordnung (KWVO)

 

in Verbindung mit §1 Abs.1 Kriegsschädliches Verhalten

 

Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseite schafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden.

(Kriegswirtschaftverordnung vom 4.9.1939)

 

Hinweis: Delikte gegen die Kriegswirtschaftsverordnung nahmen im Laufe des Krieges sprunghaft zu, von 1,5% aller Beschuldigten in Jahr 1940 auf 27% im Jahr 1941, um dann mit 40% 1943 einen Höchststand zu erreichen. (vgl. LUDEWIG, S. 49) Die enorme Zunahme der Verstöße signalisieren auf der einen Seite wirtschaftliche Not auch in bürgerlichen Kreisen und auf der anderen Seite eine enorme Verfolgungswut der Ermittlungsbehörden. Denunziation spielt in Ganzen nach neueren Untersuchungen nicht die überragende Rolle, die man ihr bis heute zugesprochen hatte.

 

 


3. Verbrechen und Vergehen nach §§ 349,350, 260, 332 StGB

In Tateinheit mit

§. 348. Straftaten im Amt

Ein Beamter, welcher, zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit vorsätzlich eine rechtlich erhebliche Thatsache falsch beurkundet oder in öffentliche Register oder Bücher falsch einträgt, wird mit Gefängniß nicht unter Einem Monat bestraft.
Dieselbe Strafe trifft einen Beamten, welcher eine ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Urkunde vorsätzlich vernichtet, bei Seite schafft, beschädigt oder verfälscht

 

§. 349.

Wird eine der im §. 348. (bezeichneten Handlungen in der Absicht begangen, sich oder einem Anderen einen Vermögensvortheil zu verschaffen oder einem Anderen Schaden zuzufügen, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren und zugleich auf Geldstrafe ... zu erkennen.

§. 350.

Ein Beamter, welcher Gelder oder andere Sachen, die er in amtlicher Eigenschaft empfangen oder in Gewahrsam hat, unterschlägt, wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
Der Versuch ist strafbar.

 

 

§. 332. Bestechlichkeit

Ein Beamter, welcher für eine Handlung, die eine Verletzung einer Amts- oder Dienstpflicht enthält, Geschenke oder andere Vortheile annimmt, fordert oder sich versprechen läßt, wird wegen Bestechung mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.
Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe ein.

 

 

§. 260. Gewerbsmäßige Hehlerei

Wer die Hehlerei gewerbs- oder gewohnheitsmäßig betreibt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

 

 

 

 

Galten Angeklagte als "Volksschädlinge" oder wurden durch die kriminalmedizinische Untersuchung als dem "Typus des Volksschädlings" zugehörig definiert, mussten sie mit der schwersten Strafe rechnen, auch wenn die eigentlichen Anklagen gering waren. Der Rechtsbegriff des "Volksschädlings" war ausgesprochen unscharf, so dass sich auch damals schon gleich die Frage stellte: Was unterschied denn nun einen "Volksschädling" von einem Dieb? Oder präziser: wann wurde aus dem Dieb ein Volksschädling? Eine Frage von erheblicher Bedeutung, war doch der "Volksschädling" in jedem Fall mindestens mit Zuchthaus wenn nicht mit dem Tode zu bestrafen. Das Reichsgericht stellte schließlich 1942 höchstrichterlich fest: Ein Volksschädling sei ein Täter, "der ein Verhalten, das der im Kriege stehenden Volksgemeinschaft schädlich ist, in einem Maße gezeigt hat, dass gesundes Volksempfinden darin eine besondere Verwerflichkeit und damit eine erhöhte Strafwürdigkeit des Täters findet, sei es nach den Umständen der Tat, sei es nach der Persönlichkeit des Täters, sei es in Verbindung beider Merkmale." (Undatiertes Urteil 1942, zit. LÖFFELSENDER 2012, S. 337)

Fatale Konsequenz: jedes Eigentumsdelikt, selbst sog. Mundraub, konnte auf diese Weise zu einer Straftat werden, die mit Zuchthaus bewehrt war. Entscheidend war allein das "gesunde Volksempfinden" bzw. das, was der Richter jeweils dafür hielt. Rechtsstaatlichkeit, wie wir sie verstehen und wie die Weimarer Republik sie verstanden hatte, sah deutlich anders aus. Nicht umsonst sprach Justizminister Gürtner 1939 bezogen auf die notwendigen kriegsbedingten Gesetzesänderungen von der "Umwertung der Werte" als Zielvorgabe. (ebd. S.339)

 

 

Die Zeugen

Als Zeugen werden von der Gestapo vernommen:

Johannes Weber (17 Jahre alt)

Leo Weber (15 Jahre alt)

 

Als Zeugen werden vor Gericht befragt:

Von der Stadtverwaltung Brühl:

Amtsbürgermeister Pott (Wesseling) unter Eid

1. Beigeordneter und Leiter Wirtschaftsamt Dr. Josef Effertz (Brühl)

Frau Thelen

Frau Gruschke

Elisabeth Scheutwinkel

Konrektor Weiler

Frau Ludolph (Sekretärin)

Von der Kriminalpolizei Brühl:

Kriminaloberassistent Blessmann

Von den Kartenabnehmern:

Gastwirt Toni Rösch (Sohn des begünstigten, aber verstorbenen Wilhelm Rösch)

Kaufmann Fuchs (Feinkostgeschäft)

Frau Josefine Reusch (Metzgerei)

Milchhändler Broicher

Frau Broicher

Eheleute Buschheuer

 

Parallel laufen staatsanwaltliche und dienstrechtliche Ermittlungen gegen die Angestellten der Stadtverwaltung Brühl:

Frau Thelen,

Frau Döring,

Frau Gruschke,

Frau Scheutwinkel .

Alle Beteiligten werden am 18.03. festgenommen und zumindest vorübergehend inhaftiert.

 

Staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren laufen bei allen Kartenabnehmern. Verurteilungen sind bekannt für

Frau Reusch trotz zugesprochener Unzurechnungsfähigkeit (nach ROTH 2010 ein und ein halbes Jahr Zuchthaus)

Herr Peter Fuchs (5 Jahre Zuchthaus KZ Sachsenhausen, dann "freiwillig"  Strafbataillon 999)

Wahrscheinlich sind vergleichbare Urteile, zumindest aber Geldstrafen ergangen gegen

Frau Gruschke

Frau Döring

Frau Thelen

Ehepaar Christian Broicher

Ehepaar Buschheuer

 

Es laufen auch staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen die Abnehmer von Fleisch, Wurst, Käse und Butter:

Ehefrau Maria Weber, (hier Anklage vor dem Sondergericht III in Köln und Verurteilung zu 1 Jahr Gefängnis)

Frau Elisabeth Horbach, geb. Heiligers (Mitbewohnerin in der Mühlenstraße 79), verhört am 21. März und 11. November 1942, Verfahren eingestellt am 5.3.1943,

Frau Irma Ponsens, geb. Oellig in Koblenz, verhört im März und November 1942, Verfahren wahrscheinlich eingestellt am 5.3.1943,

Frau Elisabeth Böcking, geb. Weber in Koblenz, verhört im März und November 1942, Verfahren wahrscheinlich eingestellt am 5.3.1943.

Einstellungsbegründung in diesen drei Fällen: Die Einlassungen der Zeugen, dass sie nicht wussten, dass das Fleisch aufgrund eines "Verbrauchsregelungsverstoßes" von Frau Weber abgegeben worden ist, seien "nicht zu widerlegen" (Ermittlungsakte Maria Weber S. 25).

 

 

Urteilsverkündung

 

Gabriel Weber wird am 3. Juli 1942 vom Sondergericht I am Kölner Landgericht unter dem Vorsitz von Landgerichtsdirektor Karl Eich von ihm und den Richtern Heinrich Voss und Engelbert Gerits auf Vorschlag des Staatsanwalts André als Volksschädling zum Tode verurteilt. Landgerichtspräsident ist Herr Dr. Walter Müller, Oberstaatsanwalt ist Herr Meißner.

 

Als Richter Karl Eich das alle Lebenshoffnung zerstörende Todesurteil verkündet, bricht Gabriel Weber ohnmächtig zusammen. Er benötigt ärztliche Hilfe.

 

Ab dem 05.07. befindet sich Gabriel Weber im Krankenhaus des Klingelpütz (und damit auch nicht mehr in Einzelhaft).

 

 

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Abschrift Anklageschrift
Anklageschrift vom 23.06.1942 des Oberstaatsanwalts Meissner beim Kölner Landgericht, vertreten im Prozess durch Staatsanwalt André
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Begl. Abschrift Todesurteil gegen Gabriel Weber vom 03.Juli 1942
Archivmaterial dank freundlicher Recherche durch das Hauptstaatsarchiv Duisburg
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Verurteilung zum Tod: Zur Urteilsbegründung

 

Gabriel Weber hat entsprechend den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und laut Urteil als Alleintäter gehandelt. Er selbst hat immer darauf bestanden, dass er bezüglich Rösch und den anderen Lebensmittelhändlern auf Anweisung oder Wunsch seiner Vorgesetzten und mindestens unter ihrer Duldung gehandelt habe. Ein wahrscheinlicher Meineid des Vorgesetzten Pott und die Tatsache, dass niemand sonst gegen den Vorgesetzten aussagt, macht Gabriel Weber zum Alleinverantwortlichen.

 

Die kriminalpolizeiliche Ermittlung erscheint, was die Zeugenaussagen bezüglich der konkreten Tatvorgänge anbetrifft, "ordentlich" durchgeführt. Die Aussagen der Belasteten (selbstverständlich alle darauf bedacht, sich nicht selbst zu belasten) widersprechen sich zwar in Details noch während der ersten kriminalpolizeilichen Vernehmungen, Widersprüche werden aber durch persönliche Gegenüberstellung fast immer ausgeräumt, teilweise bis in Kleinigkeiten. Die Zahl der unterschlagenen Karten scheint mehr oder weniger vollständig ermittelt, der jeweilige Abnehmer (die rekapitulierende Aufstellung im späteren Urteil gegen Maria Weber erscheint präziser noch als die im Urteil gegen Gabriel Weber) eindeutig bestimmt, der Gegenwert im Geldbeutel des Angeklagten aufgeklärt. Absprachemöglichkeiten gab es durch die frühe Verhaftung fast aller Beteiligten höchstens sehr eingeschränkt.

 

Was die mögliche Beteiligung von Vorgesetzten und ihre Duldung anbetrifft, scheinen die Ermittlungen eher unvollständig und einseitig zu sein. Das staatsanwaltliche Handeln fußt ausschließlich auf der kriminalpolizeilichen und auf der internen Ermittlung durch Dr. Josef Effertz, der offensichtlich die Stadtspitze oder Parteigenossen und aus der Schusslinie halten wollte.

 

Die Aussagen der Ehefrau Maria vor der Kriminalpolizei in Brühl am 20.03.1942 zeigen, dass Gabriel Weber bei der Unterschlagung von Karten offensichtlich deutlich getrennt hat zwischen den Karten, die er im beruflichen  Zusammenhang (angeordnet oder politisch erwünscht?) und den Karten, die er im privaten Zusammenhang unterschlug. Die Ehefrau Maria jedenfalls weiß von Karten, die der Gastwirt Rösch und die Lebensmittelhändler Fuchs und Broicher erhalten haben, offensichtlich nichts. Über die Karten, die die Metzgerei Reusch erhalten hat, weiß sie dagegen Bescheid. Rösch, Broicher und Fuchs bestätigen im Prozess, dass zwischen ihnen und Frau Weber kein Kontakt bestand. (Vgl. Ermittlungsakte Maria Weber) Die entsprechenden Aussagen können wegen der sofortigen Verhaftung des Gabriel Weber schwerlich abgesprochen worden sein. Zu schließen wäre aus der strikten Trennung beruflicher Tätigkeit und Privatleben möglicherweise,  dass die Abgabe von Karten im beruflichen Zusammenhang auch vorwiegend beruflich motiviert war (trotz einiger Freibiere und einiger Freizigarren für Gabriel Weber) und im "städtischen" Interesse lag. Die Kartenabgabe an die Metzgerei Reusch z.B. scheint eher privat motiviert, wenn auch nicht nur im Sinne der eigenen Bereicherung. Die Metzgerei hatte davon einen deutlicheren Nutzen als Maria Weber.

 

Für einen Zusammenhang mit überörtlichen Korruptionsvorgängen z. B. in Köln gibt es keinen Hinweis. Für alle dem Gericht bekannten unterschlagenen Karten sind die Abnehmer akribisch nachgewiesen, eine Weiterleitung der Karten an andere interessierte Stellen mittels der Geschäftsleute macht keinen Sinn.

 

Tatvorwurf ist mithin die Veruntreuuung von 6 Lebensmittelkarten für Fleisch und Fett als Leiter der Wirtschaftsstelle in 1940 und die Veruntreuuung weiterer ca. 870 Fleisch- und Fettkarten fortgesetzt bis März 1942. Hier hatte Weber als Leiter der Abteilung "Familienunterhalt" des Wohlfahrtsamtes ihm zugeneigte oder verpflichtete Mitarbeiter (siehe Zeugenliste) seiner ehemaligen Arbeitsstelle "Wirtschaftsamt" dazu gebracht, ihm Karten (meist sog. Rückläufer-Karten) auszuhändigen. Die Mitarbeiterin Thelen soll er dazu gebracht haben, weil er - so der Richter - von ihr annahm, dass sie selbst Karten veruntreue (bleibt aber unklar). Er selbst will (Urteil S. 11) ihr gegenüber ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass er die Karten auf entsprechende Anweisung Potts an sich nehme. Eine genaue Klärung, wie er die Ehefrau Gruschke dazu gebracht haben soll, ihm Karten auszuhändigen, unterbleibt.

Auf die Mitarbeiterin Scheutwinkel gehen Staatsanwalt und Richter detailliert ein: sie soll ihm aus Dankbarkeit, innerer Verpflichtung und gegen Überlassung von 250g Butter entsprechende Karten übergeben haben. Gabriel Weber hatte ihr seinerzeit als lediger Mutter von unehelichen Zwillingen die entsprechende Aushilfsstelle bei der Stadt verschafft. Dass er die junge Frau "benutzt" hat, wird ihm in der Folge als besonders charakterlos strafverschärfend angerechnet.

 

Die hinterzogenen Karten waren für einzelne Brühler Geschäftsleute bestimmt. Alles fing an mit Karten, die er an Herrn Rösch abgab. Herr Rösch war Inhaber des Ratskellers, Brühls "Gute Stube", ständiger Versammlungsort der Partei und der Stadtspitze, direkt neben dem Büro des Westdeutschen Beobachters und dem Rathaus schräg gegenüber gelegen. Herr Rösch hatte das für Gastwirte und Lebensmittelhändler der damaligen Zeit weit verbreitete typische Problem, dass Essensausgabe bzw. Warenausgabe und Karteneinnahme nicht überein stimmten: solche Bilanzprobleme entstehen im Übrigen in den meisten Gaststätten und Lebensmittelgeschäften (bedingt schon allein durch Verluste an Fleisch und Fett während des laufenden Betriebes, aber auch wegen zu reichlicher Essensausgaben und ständiger Verluste durch das angestellte Personal). Für diese Diskrepanz hat Herr Rösch ab 1939 regelmäßig eine Ausnahmegenehmigung durch das Landratsamt erhalten. Die entsprechende monatliche Genehmigung  hatte Gabriel Weber als Leiter der Wirtschaftsstelle offiziell eingeholt. Das gehörte zu seinen originären Aufgaben, die er gewissenhaft - so sein Vorgesetzter Pott im Verhör - erfüllte. Als diese Ausnahmegenehmigung nach der Reduzierung der Fleischbezugsmengen im Frühjahr 1941 plötzlich nicht mehr erteilt wurde, wandte sich Rösch verzweifelt an Weber und Pott um Hilfe. Schließlich halfen Pott und Weber oder Weber allein dadurch, dass Gabriel Weber dem Besitzer des Ratskellers, Wilhelm Rösch bzw. seinem Sohn Toni Sohn Toni die zum Ausgleich der Bilanz notwendigen Fleisch- und Fettkarten zuschob. Karten, die eigentlich als Rückläufer zur Vernichtung bestimmt waren. Ohne die entsprechende Hilfe wäre Rösch schnell bankrott gegangen bzw. wegen des entsprechenden Deliktes bestraft und sein Restaurant geschlossen worden. Warum Gabriel Weber Herrn Rösch schließlich sogar mehr Karten zukommen ließ, als dieser für den Bilanzausgleich benötigte, kann er selber nicht erklären. Die Karten brachte Gabriel Weber oder sein Sohn monatlich im Ratskeller persönlich vorbei.

 

 

 

Ratskeller, die "Gute Stube" Brühls- Inhaber: Wilhelm Rösch (Foto aus Archiv Neff, copyright Hans J. Rothkamp)

 

 

Der Bezug von Fleisch- und Fett (Butter) wurde von Rösch unter anderem über die Feinkosthandlung Fuchs abgewickelt. Der Inhaber Fuchs stellte schnell fest, das die Mengen, die Rösch kaufen konnte, über das Rechtmäßige hinausgingen und verlangte, als Gabriel Weber einmal auf die Röschkarten ein Pfund Butter kaufen wollte, von diesem Moment an von ihm ebenfalls eine bestimmte Menge an "Schweige"- Karten. Weber erhielt im Gegenzug von Fuchs eine erweiterte Einkaufsmöglichkeit. Ein anderes Lebensmittelgeschäft (Broicher) und die Familie Buschheuer waren im Laufe des Jahres zusätzlich im Verteiler.

 

Gabriel Weber erhielt im Übrigen von Herrn Rösch als "entsprechende Gefälligkeit fürs Vorbeibringen" (nicht für die Karten selbst, so betont Herr Rösch jun. in seiner Aussage)  einmal oder auch jedes Mal (? unklar) eine Flasche Wein, mehrfach Zigarren und mehrfach ein Glas Bier. Der Richter sieht in diesen Geschenken "ein Entgeld für die Hergabe der Karten"- wiewohl die Karten wertmäßig in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zu den abgegebenen Waren stehen. Die Karten übersteigen den Wert der Geschenke oder, wenn man will, den Wert der Gegenleistung in einem doch sehr unplausiblen Verhältnis. Gabriel Weber wäre zu allem auch noch geradezu bodenlose Dummheit zu unterstellen.

Der Richter argumentiert diesen von Gabriel Weber bzw. seinem Anwalt vorgetragenen Zusammenhang kurzerhand vom Tisch. Er hält es schlicht "für durchaus unwahrscheinlich, dass der Angeklagte so viele Karten ohne eigenen Vorteil verteilt haben soll." (Urteil S. 11) Wenn es denn unwahrscheinlich ist, dann kann es auch nicht sein, dass Weber aus anderen Gründen als Habgier gehandelt hat.

 

Wilhelm Rösch, Inhaber Ratskeller Brühl, verst. Okt. 1941 (Foto aus Archiv Neff, copyright Hans J. Rothkamp)

Für die Einlassungen von Gabriel Weber spricht, dass er in keinem Fall - so das Gericht sogar selbst - Handel mit den Karten getrieben hat oder dass er gar unmittelbar Geld oder gar erhöhtes Schwarzmarktgeld erhalten hat. Weber wird schließlich dennoch verurteilt wegen beträchtlicher volksschädlicher persönlicher Bereicherung. Auf diesen Widerspruch geht der Richter mit keinem Wort ein. Dass er kein Geld angenommen und keinen Handel mit den Karten getrieben hat, wird ihm schließlich sogar zum Nachteil gewendet: er war so kriminell, dass er seine Verbrechen auch noch besonders geschickt getarnt hat, indem er nur die erweiterte Einkaufsmöglichkeit genutzt hat. Tatsächlich haben Gabriel Weber und seine Frau bis auf die Freibiere im Ratskeller alle Waren selbst "ordnungsgemäß" bezahlt - sich das Eintrittsbillet dafür allerdings widerrechtlich verschafft.

 

Wir schließen daraus und aus anderen Gründen (siehe Ermittlungen), dass Gabriel Webers Antriebe für sein unrechtes Handeln eher seine Hilfsbereitschaft, seine Loyalität als Beamter gegenüber den Wünschen seines Vorgesetzten Pott, vielleicht auch seine Bedürfnisse nach Anerkennung und möglicherweise stille Hoffnungen auf Protektion und Aufstieg in der Stadtverwaltung gewesen sein mögen denn die persönliche direkte Bereicherung.

Es gab allerdings eine beträchtlich erweiterte Einkaufsmöglichkeit für die  Familie durch die regelmäßige Kartenabgabe (immer Fleisch- und Butterkarten, insgesamt 200) an die Metzgerei Reusch in der Nachbarschaft der Webers und die Abgabe von 200 Karten an den Lebensmittelhändler Broicher. Weber erhielt dafür auch von Broicher wöchentlich die Einkaufsmöglichkeit für eine im Verhältnis zum "Wert" der Karten eher vergleichsweise geringe Menge Wurst, Käse und Butter und insgesamt etwa 70 Zigarren.

 

Ob er diese Waren bei Broicher bezahlen musste oder direkt als Gegenleistung erhielt, geht aus dem Urteilstext selbst so eindeutig nicht hervor. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen belegen jedoch, dass tatsächlich auch hier bezahlt wurde.

 

In der Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft noch von der vermuteten Veruntreuung von etwa 2000 Fleisch- und 1000 Fettkarten die Rede. Die Anklageschrift wirkt insgesamt eher schludrig zusammengeschrieben, die Schlussfolgerungen demütigend, gleichen eher einer Hasstirade denn nüchterner Abwägung. Gabriel Weber bezeichnet er "als übelsten Saboteur der Kriegswirtschaft", der nur zu seinem Vorteil gehandelt habe. Die Argumentation des Richters wirkt dagegen deutlich bemüht, den Anschein von Rechtsprechung zu wahren. Der Richter verurteilt Gabriel Weber schlussendlich wegen der Veruntreuung von 870 Fleischkarten und 630 Fettkarten. Die konnten Gabriel Weber tatsächlich nachgewiesen werden. Mengenmäßig entsprechen die Karten im Übrigen ca. 28 Zentnern Fleisch und 12,6 Zentnern Fett. Das Meiste davon serviert im Restaurant "Ratskeller".

 

Metzgerei Reusch um 1942 (Foto aus Archiv Neff, copyright Hans J. Rothkamp)

Hier in der Metzgerei Reusch konnte die Ehefrau Maria wöchentlich statt für ca. 10,00 Mark für ca. 17,00 Mark Fleisch einkaufen und 3 Pfund Butter statt einem. Schon ein enormer Vorteil, aber letztlich nur der Vorteil, mehr als das Übliche einkaufen zu dürfen- im Wert von vielleicht gerademal 800,00 RM in zwei Jahren. Von den anderen Lebensmittelhändlern bringt Gabriel Weber ebenfalls eine begrenzte Kleinmenge an Wurst, Käse und Butter nach Hause. Maria Weber verbraucht Fleisch, Wurst, Käse und Butter innerhalb der großen Familie selbst und gibt, was sie übrig hat, innerhalb des erweiterten Familienkreises (Schwester Irma und Schwägerin Lisbeth) und im engsten Freundeskreis (Frau Horbach) gegen den üblichen Preis weiter. Auch hier offensichtlich kein Bereicherungsinteresse. Die Metzgerei Reusch nutzte diese Karten wie die anderen Geschäftsleute, um die Fleisch- und Fettabgabe mit den einbehaltenen Karten in Gleichgewicht zu bringen. Das Ehepaar Buschheuer erhält einige Karten aus Dankbarkeit. Weitere Abnehmer kann die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln.

 

Der Satz von Gabriel Weber: "Wenn Pott die Wahrheit sagt, kann mir nichts passieren." bekommt in dem vom Gericht festgestellten Tathergang durchaus ihren Sinn: wenn der Chef das geduldet (woran eigentlich kein Zweifel bestehen kann) oder gar angeordnet hat, dann ist der dran und nicht Gabriel Weber. Und Pott weiß, wie er sich schützen muss. Pott ist auch nicht in Moral so eingebunden wie Gabriel Weber. Pott ist keiner, der sich selbst ans Messer liefert. Der Richter reagierte auf die Bitten des Verteidigers Becker und auf die wohl heftigen lautstarken Einsprüche des Gabriel Weber im Prozess tatsächlich mit der einzigen Vereidigung eines Zeugen in der Verhandlung, nämlich der des Wilhelm Pott - und der schwor aller menschlichen Erfahrung nach einen Meineid, um sich selbst zu schützen. Die Zeugin Horbach aus der Nachbarschaft (selbst Nutznießerin von Butter und Wurst) berichtet jedenfalls am 3. Juli 1942 am Nachmittag zu Hause in Brühl aus dem Prozess gleichermaßen empört wie hilflos, Pott habe doch tatsächlich einen Meineid geschworen - daran erinnert sich der Sohn Leo noch immer genau.

 

 

Gabriel Weber mit seiner Sekretärin Frau Ludolph (Foto privat)

 

Der persönlichen Sekretärin von Gabriel Weber, Frau Ludolph, die vor Gericht aussagte, sie habe niemals Gesprächen von Herrn Pott mit Herrn Weber zugehört, könne also nicht bestätigen, dass Herr Weber mit Zustimmung von Herrn Pott gehandelt habe, war wohl nach aller menschlichen Erfahrung ihr Hemd näher als der Rock - und Gabriel Weber der Dumme. Sie hätte mit der entsprechenden Aussage zu solchen Gesprächen, die Gabriel Weber auch wohl erwartete, vielleicht die Möglichkeit gehabt, Gabriel Weber zu retten. Dass sie von den Gesprächen nichts mitbekommen hat, ist möglich aber doch eher unwahrscheinlich.

 

Das Schicksal wollte es für Gabriel Weber schon sehr böse: die Tatsache, dass er die Karten nicht eins zu eins gegen Ware oder Geld eingetauscht hatte, wurde ihm als besondere Hinterhältigkeit und Raffinesse unterstellt, um eben nicht aufzufallen und juristisch belangt werden zu können. Überdies hat der Angeklagte nach Ansicht des Richters die Tat " auch für den Fall gewollt, dass er eine Gefährdung der Versorgungslage herbeiführte. Er hat daher vorsätzlich gehandelt. Die Tat ist auch böswillig geschehen."  Dass er die Veruntreuung als Beamter ausführte, macht die Straftat schließlich zu einer in einem "besonders schweren Fall." (Urteil S.12)

 

Ein persönliches Interesse an der Unterschlagung kann das Gericht nur für die Unterschlagung von 6 Karten in 1940, für die kleinen Geschenke von Herrn Rösch und die erweiterten Einkaufsmöglichkeiten unterstellen. Legt man die erweiterten Einkaufsmöglichkeiten zugrunde, dann wird Gabriel Weber zum Tode verurteilt wegen eines geldwerten Warenbezugsvorteils für sich persönlich von hochgerechnet höchstens ca. 1.500,00 RM. Bei aller Unschärfe solcher Berechnungen entspräche das in Euro heute einem geldwerten Einkaufs- Vorteil von immerhin 5.250,00 € in zweiundeinhalb Jahren, den er aber bis auf die Zigarren, den Wein und die Gläser Bier durchaus selbst bezahlt. 

 

Der der sog. "Volksgemeinschaft" insgesamt entzogene und den Geschäftsleuten zugute gekommene Warenwert bezogen auf alle unterschlagenen Karten zusammen beläuft sich grob gerechnet auf immerhin ca. 5.800,00 RM, umgerechnet heute ca. 20.300,00 €.

 

Tatsächlich als Geld in der Kasse der Familie Weber scheint kein einziger Pfennig davon gelandet zu sein, allenfalls wurden Ausgaben für Wein, Bier und Zigaretten und ebenso Schwarzmarktpreise für Butter und Fleisch eingespart. Selbst der Preis, den die erweiterte Familie  für überschaubare Mengen an Fleisch und Butter gezahlt hat, war nur das, was Frau Weber vorher selbst bezahlt hat. Auch hier wird sowohl im Urteil gegen Gabriel Weber wie im Urteil gegen Maria Weber das staatsanwaltliche Ermittlungsergebnis ausdrücklich erwähnt, dass die Abnehmer nur den üblichen Marktpreis und nicht einen Überpreis oder gar den Schwarzmarktpreis bezahlten.

 

 

 

Verurteilung zum Tod: Willkür und Mordvorsatz

 

 

Wenn man die gerade beschriebene "Entziehung" oder "Vorteilsverschaffung"  juristisch als Diebstahl verurteilen will, erscheint schon hier die Argumentation zumindest schwierig, weil ja niemand konkret und persönlich bestohlen und die entsprechende Ware "ordentlich" bezahlt wird. Allenfalls steht durch diese Art der Unterschlagung von Karten für die sog. Allgemeinheit (hier Volksgemeinschaft) ein Weniger an Waren insgesamt zur Verteilung zur Verfügung; heute würde man daher von Veruntreuung sprechen.

 

Hinweise:

  • Das entsprechende Unrechtsbewusstsein für solche Taten musste übrigens in der Bevölkerung mit hohem propagandistischem Aufwand überhaupt erst aufgebaut und dann recht mühsam aufrecht erhalten werden. Diesem besonderen Zweck dienten solche Schauprozesse ganz besonders.
  • Insofern es sich bei den unterschlagenen Karten wahrscheinlich vollständig um Rückläuferkarten handelte, war eine Einsicht darin, dass Veruntreuung auch von zu vernichtenden Karten trotzdem eine schwere Straftat ist, nicht so leicht nachzuvollziehen. Dass sie gar mit dem Tod bewehrt sein könnte, war doppelt schwer zu begreifen.

 

War der Diebstahlsvorwurf schon juristisch nicht einfach zu begründen, ist es der im Urteil erhobene Vorwurf der "bandenmäßigen Hehlerei" erst recht nicht, weil - gerichtlich bestätigt - niemand direkt mit den Karten handelt. Der Gastwirt und die Lebensmittelhändler bekommen eine erweiterte Verdienstmöglichkeit durch erhöhte Warenausgabe und saubere Bilanzen, die Familie Weber eine großzügigere Einkaufsmöglichkeit. Der Richter führt diesen Vorwurf der "bandenmäßiger Hehlerei" im Urteil als Straftatbestand auf, erhebt aber keine Anklage gegen eine Bande und begründet im Urteil diesen Vorwurf nicht, geht auf den Vorwurf der Hehlerei aber immerhin ein. Die Begründung dieses Tatvorwurfs wirkt dabei arg konstruiert: Hehlerei war entsprechend dem Urteil bereits deshalb gegeben,

  • weil Gabriel Weber wusste, dass die Angestellten der Wirtschaftsstelle die Karten nur durch eine strafbare Handlung an sich bringen konnten,
  • weil er zu seinem Vorteil gehandelt hat.

 

Die mit so schwachen Argumenten festgestellte Hehlerei war darüber hinaus gewerbsmäßig,

  • weil er sich durch sie "eine laufende Einnahmequelle von unbestimmter Dauer verschaffen wollte". (Urteil, S.14)

Der letztere Vorwurf wird vom Richter aufrecht erhalten, obwohl er an anderer Stelle ausdrücklich festhält, dass Herr Weber die Karten nicht verteilt hat, um besondere Einnahmen zu erzielen. Die Vorteile, die sich Gabriel Weber durch "Hehlerei" verschafft hat, werden zusätzlich als "schwere passive Bestechung" gewertet.

 

 

Festzuhalten bleibt:

 

  • Unzweifelhaft stellt die Unterschlagung eine Straftat dar und zwar eine Straftat als Amtsperson.
  • Unzweifelhaft hat die Unterschlagung die Möglichkeiten der einzelnen Protagonisten erweitert, einen höheren Lebensstandard zu haben (auf Seiten der Webers) und ein höheres Einkommen (auf Seiten des Gastwirtes und der Lebensmittelhändler) zu erwirtschaften.
  • Unzweifelhaft liegt ein Fall von passiver Beamtenbestechung vor: Kartenabgabe gegen entsprechende persönliche Vorteile.

 

Schicksalhaft: Gabriel Weber hat von allen Beteiligten gewiss am wenigsten profitiert und ist am härtesten bestraft worden.

 

Die Frage erst gar nicht aufzuwerfen, was Gabriel Weber denn wohl davon gehabt haben könnte, regelmäßig eine so hohe Zahl an Karten (ausschließlich Fett- und Fleischkarten, wie sie besonders für Restaurants und Lebensmittelläden von Nutzen waren) an Wilhelm Rösch und andere Geschäftsleute abzugeben, wenn er denn nicht selbst selbst profitierte (so die Eigen- Feststellung des Gerichts), stellt das eigentliche Versäumnis des Richters und seiner Beisitzer dar und weist auf eine politische Funktion des Urteils hin. Der Richter formuliert auf Seite 16 sogar selbst, dass ein "verständlicher Grund für sein Verhalten" nicht zu finden sei, wirft ihm dann aber im selben Satz vor, die Not der Geschäftsleute und ihr Hilfsbedürfnis ausgenutzt zu haben, "um sie sich zu verpflichten und bedeutende Vorteile für sich zu erlangen".  Das Urteil dient offensichtlich anderen Zwecken denn der Gerechtigkeit.

 

An diesem Tag war - so der Eindruck heute- schlicht ein weiteres Todesurteil durch das Sondergericht I am Landgericht Köln zwingend an der Tagesordnung, warum auch immer. Der Richter - so der Gesamteindruck - legt sich den vorliegenden Fall so zurecht, dass ein Todesurteil zwangsläufig wird. Der Rechtsanwalt Carl Becker bestätigt genau diesen Eindruck eines politisch motivierten Urteils 1946 in seinem Brief an Leo Weber.

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Brief Rechtsanwalt Becker IV an Leo Weber
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Viele Urteile zu Kriegswirtschaftverbrechen wie auch das Urteil gegen Gabriel Weber machen deutlich, dass die Richter der Sondergerichte, hier Eich, Gerits und Voss sich nicht an den vorhandenen Gesetzen orientiert haben, sondern dass sie sie extensiv und willkürlich auslegten- in einem vorauseilenden Gehorsam und einer Servilität dem System gegenüber, die ohne Beispiel ist- sichtbar an zwei Alleinstellungsmerkmalen des Urteils.

 

 

 

 "Alleinstellungsmerkmale im Todesurteil gegen Gabriel Weber

 

1. Anwendung "Volksschädlingsverordnung" bei Lebensmittelkartenunterschlagung

 

MANTHE stellt für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln bezüglich der Kriegswirtschaftsverbrechen mit Hilfe der Lebensmittelkartenunterschlagung fest, dass die "Personen an den Quellen" von den Sondergerichten extrem hart nach der KWVO bestraft wurden und führt dazu viele Beispiele an.

 

Für alle Beispiele aus den Jahren 1940 bis 1944 gilt aber, dass die Richter bei keinem der Urteile darüber hinaus die "Volksschädlingsverordnung" anwendeten, weil "der Strafrahmen des §1 Abs.2  der  Kriegswirtschaftsverordnung ausreicht, um die Tat angemessen zu sühnen" (so sogar der Wortlaut im Urteil vom 5. Juli 1944 (!) gegen den Buchdrucker Franz Nikolaus M. aus Koblenz, zit. MANTHE 2013, S. 162)

 

 

 

Einzige Ausnahme ist das Urteil gegen Gabriel Weber.

 

Offensichtlich reichte die Kriegswirtschaftsverordnung zur einigermaßen plausiblen Begründung des Todesurteils nicht aus, so dass Eich einen weiteren, diesmal "todsicheren" Begründungszusammenhang zufügen musste. Bezeichnenderweise führt Eich die zahlreichen Strafmilderungsgründe alle nach der Feststellung eines Verbrechens gegen die Kriegswirtschaftsordnung auf, bevor er dann die "große Keule" Volksschädlingsverordnung" auspackt, gegen die kein einziger Strafmilderungsgrund Bestand hat.


Dabei war selbst diese Typisierung nicht gerade leicht herzuleiten. Sie wurde sogar entgegen den sonstigen Gepflogenheiten vorgenommen. Sie wurde vorgenommen,

  • obwohl Gabriel Weber Parteimitglied war, wenn auch ein spätes,
  • obwohl er im ersten Weltkrieg gedient hat,
  • obwohl er seine Arbeit besonders gewissenhaft und zur vollen Zufriedenheit des Vorgesetzten und Parteimanns Pott verrichtete,
  • obwohl er auch sonst beleumundet (Ex- Bürgermeister Freericks und Wilhelm Pott selbst, Bürgerschaft) wurde,
  • obwohl er kurz vorher noch für seine Verdienste amtlich ausgezeichnet wurde und
  • obwohl er der Definition des Schädlings insofern widersprach, als er nicht vorbestraft war.

 

Dieses Urteil stand bei ihrer Analyse Frau Manthe übrigens nicht zur Verfügung, weil verschollen. Andernfalls hätte sie gewiss schon auf dieses Urteil besonders hingewiesen.

 

Diese Alleinstellung mag auch nahelegen, die These von der Zufälligkeit der absoluten Vernichtung der Akte durch Kriegseinfluss in Frage zu stellen. Sie gibt eher dem Verdacht Nahrung, dass irgendjemand ein sehr persönliches Interesse daran hatte, dass ausgerechnet diese Akte verschwindet.

 

 

2. Strafverschärfung bei Nicht- Handel

 

Uns ist reichsweit kein Urteil bekannt, in dem die Tatsache, dass jemand, der Lebensmittelkarten unterschlagen hat und mit diesen kein Geld gemacht hat, nicht strafmindernd bewertet wird. Nur bei Gabriel Weber wird genau diese Tatsache nicht nur nicht strafmindernd sondern sogar strafverschärfend gewertet.

Die ausdrücklich festgestellte persönliche "Nichtbereicherung" des Gabriel Weber wird von den Richtern ins Gegenteil gewendet: dass er die Karten fast ausschließlich unentgeldlich gegen erweiterte Einkaufsmöglichkeit abgibt, wird ihm als besonders perfide ausgelegt. Auf diese Weise habe er, der über die juristischen Folgen von Kartenunterschlagung unzweifelhaft Bescheid wusste, seine Unterschlagungen raffiniert kaschieren wollen bzw. können. In der unausgesprochen bleibenden aber nahegelegten Schlussfolgerung begeht Gabriel Weber das "Verbrechen" gewissermaßen des Verbrechens wegen- und verdient insofern die höchste Strafe. Er ist eben ein "Volksschädling".

 

Das Todesurteil gegen Gabriel Weber erscheint unter dem Blickwinkel der herangezogenen Straftatbestände, besonders auch unter dem Blickwinkel der Strafbestände, die das Urteil allein stellen (siehe Alleinstellungsmerkmale) in hohem Maße "konstruiert". Gerade das auf den ersten Blick historisch so gar nicht bedeutend erscheinende Einzelurteil gegen Gabriel Weber hätte möglicherweise bereits in den 50ern und 60er Jahren Anlass sein können, einen Tatvorwurf wegen Rechtsbeugung gegen die Richter Eich, Voss und Gerits auch tatsächlich zu belegen, weil diese Konstruiertheit doch sehr ins Auge sticht . Das Urteil im Fall Weber bleibt aber bis Januar 2015 verschollen und taucht nur "zufällig" bei privater Recherche als Teil anderer Akten wieder auf.

 

 

 

Warum Gabriel Weber ein so hartes Urteil getroffen hat, wird wohl kaum noch aufzuklären sein. In den Überlegungen drängen sich zwei Möglichkeiten in den Vordergrund:

  • es war aus welchem Grunde auch immer gerade opportun dieses Urteil zu fällen und damit andere Parteileute (Pick, Grohé, Schaller) aus der Schusslinie zu nehmen - entweder auf der städtischen Ebene bezogen auf Brühl oder auf der regionalen Ebene bezogen auf Köln.
  • Herr Eich und seine Beisitzer mussten aus welchen Gründen auch immer ein solches Urteil fällen des eigenen vermeintlichen Fortkommens wegen.

 

Beim heutigen Lesen des Urteils, nachdem man immer wieder von der himmelschreienden Ungerechtigkeit ähnlicher Verfahren gehört und gelesen hat, ist man schon überrascht, dass der Richter alle mildernden Umstände wie z.B. die Hilfsbereitschaft des Gabriel Weber aufführt und so den Anschein erweckt, als wäge er die Argumente in ihrer Widersprüchlichkeit gegeneinander ab. Ja, er betont sogar ausdrücklich und doppelzüngig, dass es sehr gewichtige mildernde Umstände gebe, die gegen ein Todesurteil sprächen. In Wirklichkeit zählt er die mildernden Umstände nur auf, diskutiert und berücksichtigt aber nicht einen einzigen. Er formuliert sein Urteil in wahrscheinlich vorbesprochener Weise und mit klarer Richtung: Tod durchs Fallbeil.

Der Richter scheut sich dabei nicht, zahlreiche mildernde Umstände im Einzelnen aufzuführen, ohne auch nur einen einzigen zu berücksichtigen:

  • der Angeklagte ist "nicht vorbestraft",
  • der Angeklagte ist "geständig offenbar nicht nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit" (Urteil S. 15)
  • der Angeklagte "bereut aufrichtig"
  • der Angeklagte hat "schweres Leid in der Familie zu tragen" (Blindheit der Tochter von Geburt an, Nervenleiden der Ehefrau)
  • der Angeklagte ist "bescheiden"
  • "ein verständlicher Grund für sein Verhalten ist nicht zu finden. Er war wirtschaftlich durchaus gesichert." (Urteil S. 16)
  • der Angeklagte hat das "silberne Treuedienstzeichen" des Beamten inne
  • der Angeklagte hat nicht nur seine Pflichten als Beamter erfüllt sondern sich "besonders bewährt"
  • der Angeklagte ist "stets hilfsbereit"
  • der Angeklagte hat sich "vor allem den Sozialbedrängten und den Kriegerfrauen zugewendet."
  • der Vorgesetzte Pott schildert ihn als "äußerst fleißig, pünktlich und befähigt, hilfsbereit",
  • der Vorgesetzte Pott kann sich die Tat "nur aus seiner Hilfsbereitschaft gegenüber den klagenden Geschäftleuten erklären",
  • der Vorgesetzte Pott "hält ihn nicht für einen geweissenlosen Schieber, der sich von Gewinnsucht treiben lässt",
  • der frühere Bürgermeister von Brühl Freericks hat sich wiederholt "lobend über den Angeklagten geäußert"
  • der jetzige Beigeordnete der Stadt Brühl Dr. Effertz bezeichnet den Angeklagten "als einen sehr höflichen, zuvorkommenden und hilfsbereiten Beamten, der pünktlich und fleissig gearbeitet habe."

Alle diese mildernden Umstände können den Richter nicht umstimmen, bewegen ihn gar dazu, ihm eine besondere Verwerflichkeit seiner Tat vorzuwerfen, weil er das ihm entgegengebrachte besondere Vertrauen "gröblich missbraucht" habe. (Vergleiche hier auch die Ausführungen zu dem Alleinstellungsmerkmal des Urteils)

Das Richterkollegium verwirft alle mildernden Umstände und setzt ausschließlich auf die strafverschärfenden Umstände (Urteil S. 17 und 18):

"Die Tat des Angeklagten erstreckt sich zudem über die letzten zwei Jahre, sie erstreckt sich vor allem über den dritten Kriegswinter. In diesem Winter haben Front und Heimat schwere Opfer bringen müssen. keiner darf sich von diesen Opfern ausschließen, wenn er nicht auch von der Gemeinschaft des Volkes ausgeschlossen werden will. Der Angeklagte hat aus rücksichtslosem Eigennutz die Kriegswirtschaft in schwerster Weise sabotiert.

Für ihn gilt daher das Wort des Führers, dass keiner mit dem Leben rechnen soll, der glaubt, dass er sich in diesen schicksalsharten Jahren bereichern kann."

 

 

Die hohen Herren der Stadt, die hohen Herren des Gerichts leben nach dem Krieg alle noch- und sie leben gut. Gabriel Weber ist tot und unwürdig begraben.

 

Wenn man das Todesurteil zusammenfassend analysiert, wird deutlich, dass hier in keinem Sinne "Recht gesprochen" wurde sondern dass im Namen und in der Form des Rechts ein Mensch ermordet wurde. Das Urteil des Vorsitzenden Eich und seiner Beisitzer ist heute Unrecht und war - und das ist in einem gewissen Sinne durchaus eine überraschende Erkenntnis - auch damals Unrecht. Die gerne in der Familie genommene Floskel "So waren halt die Gesetze damals" und erst recht die von der Justiz bemühte Selbstrechtfertigung "Wir konnten nicht anders. Das war das geltende Recht"- diese Aussagen sind falsch und grob fahrlässig. Gabriel Weber war auch nach der damalig geltenden Kriegswirtschaftsverordnung nicht "ordentlich" zum Tode zu verurteilen. Es bedurfte des Tricks, ihn zum "Volksschädling" zu erheben, um ihn auszumerzen. Der Richter Eich und seine Mitrichter wollten an diesem Tag ein Todesurteil - zu welchem Zweck auch immer. Wahrscheinlich stand der Vorsatz zum Todesurteil bereits fest, bevor die Verhandlung begonnen hatte. In der Folge wurden die entsprechenden Gesetze und Paragraphen so um die Straftat des Gabriel Weber herumgruppiert, dass der Vorsatz auch zur Mordtat werden konnte.

 

Die deutsche Nachkriegsjustiz hat es tatsächlich geschafft, diese Mordjustiz unbehelligt zu lassen, weil sie weder bereit war, die Urteile unter dem (amerikanischen) Blickwinkel der "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu betrachten noch bereit war, die einzelnen Urteile darauf zu überprüfen, ob sie überhaupt auch nur dem damaligen Recht entprochen hätten. Das Todesurteil gegen Gabriel Weber wie viele andere Todesurteile sind gute Beispiele dafür, dass der Satz nicht gilt: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein." Die Nachkriegsjustiz steht keinesfalls besser da als die Vorgängerjustiz. Insofern die Nachkriegsjustiz in einem demokratischen "Rechtsstaat" und nicht in einer Diktatur ihre Urteile fällen durfte, steht sie in ihrer moralischen Schuld und ihrer Würdelosigkeit der Nazijustiz (zumindest im Punkt der Aufarbeitung des geschehenen Unrechts) in keiner Weise nach. Wir haben die Hoffnung, dass die Justiz heute - 70 Jahre später - notwendige Korrekturen eingeleitet hat. Der Zeichen dafür sind viele.

 

Gabriel Weber ist gewiss kein Held, ein Widerstandskämpfer schon gar nicht. Gabriel Weber ist als kleiner Beamter, der unzweifelhaft Unrecht begangen hat, in die Mühlen staatlichen Terrors geraten. Die einen werden sagen, weil er dumm genug war, die anderen werden sagen, weil er glaubte, über dem Gesetz zu stehen, die anderen werden sagen, weil er helfen, andere weil er sich bereichern wollte, wieder andere werden andere Gründe finden. Richtig ist aber, dass seine Tat fast beispielhaft einen Auschnitt dessen darstellt, was man Alltagskriminalität (beschrieben im Abschnitt über Korruption) in Notzeiten nennt- Alltagskriminalität, wie sie damals weit verbreitet und wie sie oft genug zum Über- oder Besserleben notwendig gewesen war. Zwangsbewirtschaftung trifft Kleinverbraucher, Lebensmittelrationierung trifft die Familie, die ein Pfund Butter und ein Pfund Fleisch mehr essen will als sie - staatlich verordnet - soll, Alltagskriminalität trifft Willkür- und Terrorjustiz. Opfer ist ausschließlich der "Kleine Mann", Opfer ist Gabriel Weber, Opfer ist Paula Wöhler oder wie die Ermordete und der Ermordete im Einzelnen auch heißen mag, Opfer ohne Zahl.

 

 

 

Urteile im Zusammenhang mit Dem Todesurteil Gabriel Weber

 

Ehefrau Anna- Maria Weber

Das Urteil gegen die Ehefrau ist in einem eigenen Abschnitt analysiert

 

Josefine Reusch

Josefine Reusch, die Metzgersfrau, konnte bei der Strafzumessung- wie ROTH, S.316 schreibt- von der Auffassung des Gerichts, der männliche Täter habe ihr die Karten aufgedrängt, profitieren. Sie habe - so die eigene Aussage- unter dem Einfluss von Gabriel Weber und ihres Schwiegervaters gestanden. Sie sollte ursprünglich für 5 bis 6 Jahre ins Zuchthaus. Die im psychiatrischen Gutachten festgestellte Unzurechnungsfähigkeit veranlasste das Sondergericht II unter Heinrich Funk dazu, das Strafmaß zwar abzumildern, nicht aber sie straflos zu setzen. Offensichtlich überwog das "Sühnebedürfnis" des Staates angesichts der "Schwere der Tat". Man reduzierte zwar das Strafmaß auf wahrscheinlich eineinhalb Jahre Zuchthaus (Urteil vom 30.11.1944. Ger. Rep.21, Nr.42a, zit. LÖFFELSENDER 2012, S. 331), blieb aber ungewöhnlicherweise bei einer Zuchthausstrafe.

 

 

Herr Peter Fuchs (mit Adele Fuchs):

Herr Fuchs (Feinkosthändler), der Gabriel Weber mit seinem Wissen um die Abgabe von Karten an den Ratskeller erpresst hat, ihm auch Karten zu verschaffen, wurde nach heutigem Wissensstand zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt. Diese Zuchthausstrafe verbrachte er wohl erst im KZ Sachsenhausen und dann "freiwillig" im  berüchtigten Strafbataillon "Afrika Brigade 999", die am 2. Okt. 1942 offiziell aufgestellt wurde. (Näheres dazu bei WACHSMANN 2004, S. 287ff.) Er kehrte als gebrochener Mann (so der Sohn Leo) aus dem Krieg zurück.

 

Die Anderen:

Es erscheint in diesem Zusammenhang von Interesse, auch die Urteile gegen die anderen Angeklagten der Wirtschaftsstelle wie die Urteile gegen andere Empfänger der Lebensmittelkarten, die Gabriel Weber unterschlagen hat, näher zu untersuchen. Diese Urteile müssen wie bei Josefine Reusch und Herrn Fuchs ebenfalls enorm hart ausgefallen sein. Die Prozesse scheinen sich lange bis in 1944 hingezogen (Josefine R.) zu haben.  Möglicherweise geben die Unterlagen zu den einzelnen Verfahren auch darüber Aufschluss, warum die Prozesse entgegen der sonst üblichen Verfahrensweise nicht als Gruppenprozess sondern als eigenständige Prozesse geführt wurden.

 

Lebensmittelhändler Christian und Christine Broicher

Eheleute Buschheuer

Frau Irma Ponsens, geb. Oellig (Schwester von Maria Weber)

Elisabeth Böcking (Schwester von Gabriel Weber)

Elisabeth Horbach (Nachbarin)

Die letzten drei Ermittlungsverfahren wurden am 5.3.1943 von der Staatsanwaltschaft eingestellt wegen der angenommenen Aussichtslosigkeit, beweisen zu können, dass die Abnehmer die Waren gekauft  haben, obwohl sie wussten, dass sie einer Straftat entstammten.

Vergleich mit anderen Urteilen bei ähnlicher Ausgangslage:


Die besondere Härte des Todesurteils gegen Gabriel Weber lässt sich beispielhaft gut aus dem Vergleich regionaler Urteile wegen Kriegswirtschaftsverbrechen (hier Lebensmittelkartenunterschlagung) erschließen:

 

  • Lebensmittelschieberei in Bonn: Bereits 1940 begann ein Lebensmittelgroßhandel in Bonn mit umfangreichen Manipulationen, in die ca. 130 Personen, auch Prominenz der Stadt, verwickelt waren. Der Geschäftsführer des Großhandels verkaufte Waren - Butter, Käse, Eier, Fleisch- schwarz ohne Bezugsscheine in einem Volumen von mehreren 10.000 Kilo Butter, Käse, Wurstwaren etc. Insgesamt geht der finanzielle Schaden in die Hundertausende. 130 Bezieher der Waren  wurden ermittelt, unter ihnen viel politische Prominenz, so auch Oberbürgermeister Rickert und Kreisleiter Eichler.  (Bothien S.117). Das Verfahren des Sondergerichts Köln gegen den Geschäftsführer zog sich über drei Jahre hin und wurde 1944 wegen §51 (Unzurechnungsfähigkeit) eingestellt. Weitere Beschuldigte wie der Chauffeur des Oberbürgermeisters, kamen in Untersuchungshaft, wurden aber schließlich auf freien Fuß gesetzt. Das Verfahren gegen beteiligte SS- und Gestapoleute wurde abgetrennt. Der Prozess selbst verlief schließlich im Sande bzw. verlief sich im Kriegsende. Als einziger wurde ein Arzt zu 1.000,00 RM Strafe verurteilt, weil er erzählt haben soll, dass auch der Oberbürgermeister und der Kreisleiter der NSDAP in den Skandal verwickelt seien.

 

 

  • In einem anderen Urteil wegen Schieberei gegen Jakob G. (HStAD Rep.112, Gerichte 17323) wird strafmindernd hervorgehoben, dass bei seinen Schiebereien, kein "direkter Verkauf zu Überpreisen" stattgefunden habe. Entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Todesstrafe  erkennt das Gericht in der Folge auf eine Zuchthausstrafe. In der Verhandlung gegen Gabriel Weber erkennt der Richter in der Tatsache, dass Gabriel Weber die Karten nicht zu Geld machte, keine Strafminderung sondern strafverschärfend die besondere Hinterlist des Angeklagten. Hätte er nämlich die Karten zu Geld gemacht, wäre er früher polizeilich aufgefallen. Malte ZIERENBERG 2006, S. 109 kommt in seiner Analyse von Urteilen des Kölner Sondergerichts zum Schluss: "Je nach individueller Linientreue und besonderer Konstelllation konnten Anträge und Urteile härter oder weniger hart ausfallen, obwohl die Vergehen weitgehend identisch waren." 
  • Im Kölner Wirtschaftsamt entwendet die Putzfrau Gertrud A. 1942 und 1943 Karten für 22 Zentner und 20 Pfund Fleisch sowie Karten für 8 Zentner und 26 Pfund Fett, die sie gegen Waren oder Geld im Wert von Schwarzmarktpreisen verkauft. Das Gericht entscheidet auf eine Zuchthausstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten (HStAD Rep.112/Gerichte 14573) (ZIERENBERG 2006, S.120)

 

  • Ende 1941 wird ein großer Korruptionsskandal im Rheinland aufgedeckt, in den "höchste Kreise" verwickelt sind und der das soziale Image der Partei aufs heftigste gefährdet. Unter dem Deckmantel der NSV (die nationalsozialistische Volkswohlfahrt) wurden Unmengen von Luxusgütern (von Damenstrümpfen über Lebensmittel bis zu Möbeln) aus Frankreich nach Köln geschafft. Der Wert der Waren überstieg die Millionengrenze bei weitem. Allein die Zollbehörde verlangte von der NSV eine Nachzahlung entgangener Zollgebühren in Höhe von 1,2 Millionen Reichsmark. Verschiedene NS Funktionäre waren bereits verhaftet worden, als deutlich wurde, dass auch der stellvertretende Gauleiter Richard Schaller, Kreisleiter von Köln und Gauamtsleiter der NSV Alfons Schaller (Bruder des Gauleiter- Stellvertreters Richard Schaller) zu den Beschuldigten zählte. Nach einer kurzen Untersuchungshaft und entsprechender Intervention aus Berlin wurde der kurzzeitig inhaftierte Alfons Schaller auf freien Fuß gesetzt. Einer der Täter wurde zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Das milde Urteil wurde im Übrigen von Oberstaatsanwalt Meißner als zu hart kritisiert.

 

DAS TODESURTEIL IN DER ÖRTLICHEN PRESSE

 

Donnerstags war das Todesurteil verkündet worden. Dienstag, den 7. 08. berichtet die Presse im "Westdeutschen Beobachter" sowohl im Teil "Köln Stadt" wie im Brühler Teil "Köln Land". Sie wiederholt in ihrem ausführlichen Artikel die Ausführungen des Richters, bezeichnet den Angeklagten schon im ersten Satz als "Volksschädling allerschlimmster Art", der das System der Kartenverteilung "in frivolster Weise zum eigenen Vorteil ausgenutzt" und "für sich verwertete". Auf diese Weise habe er große Mengen Fleisch und Fett ohne Marken erhalten. Er sei der "typische Volksschädling" und habe den Tod verdient.

Bericht des "Westdeutschen Beobachters" zum Todesurteil (Bericht sowohl Ausgabe Stadt wie Land Köln)

 

 

"Kölns linksrheinische Umschau. Nachrichtenblatt für die Kreise Köln und Bergheim" berichtet eingehend in seiner "Heimatbeilage". Sie übernimmt offensichtlich die Vorlage der Justizpressestelle beim Landgericht nicht, sondern formuliert näher am Leser, vielleicht auch näher am Angeklagten, zusätzlich auch darüber, dass der Prozess "großes Aufsehen in Brühl" erregt habe und "Anlass verschiedenster Gerüchte" war, die allerdings nicht ausgeführt werden. Der Artikel weist hin auf die Nötigung Webers durch den Lebensmittelhändler Fuchs und benennt sogar die strafmildernden Gründe, "nämlich Fleiß und Hilfsbereitschaft", die aber nicht hätten verhindern können, dass die schlimme Tat "gebieterisch die härteste Strafe" fordert.

Bericht der örtlichen Wochenbeilage

Version der Seite: 1/2017