Anna- Maria Weber wurde am 26.09.1898 als zweites Kind der Eltern Eva Oellig, geb. Witt und Peter Oellig in Weißenthurm geboren. Peter Oellig verdiente sein Geld mit Schiffbefrachtungen und einem kleinen Kolonialwarenhandel in Weißenthurm. Der Vater war sehr früh bereits 1913 an Diabetes verstorben und hatte 3 Mädchen (Luise, Anna- Maria und Irma (geb. 1906) hinterlassen, die die Mutter Eva nun alleine großziehen und unterhalten musste. Die mittlere Tochter Luise verstarb als junge Frau 1925 im Kindbett und hinterließ zwei Kinder. Die Eltern waren streng katholisch.
Anna- Maria Weber verliebte sich früh in den Nachbarsjungen Gabriel Weber. Webers hatten einen kleinen Bauernhof und verdienten ihr Geld hauptsächlich mit einer
kleinen Pferde- Fuhrwerkspedition. Die Mutter Eva war ganz offensichtlich gegen die sehr frühe Liason ihrer Tochter Anna- Maria mit dem wenig vermögenden Nachbarsjungen eingestellt und blieb wohl
auch - so jedenfalls die Auskunft von Gabriel Weber in der Kriminalbiologischen Untersuchung - voller Vorbehalte gegen die Heirat bzw. gegen den Schwiegersohn. Anna- Maria verlor das erste Kind
bereits vor der Hochzeit und erzwang diese gegen den Willen der Mutter mit Hilfe einer erneuen Schwangerschaft. Das erstgeborene Mädchen Helene war von Geburt an mehr oder weniger blind. Es
folgte bald eine erneute Fehlgeburt. Anna- Maria Weber war teilweise wohl depressiv oder- wie man damals gerne sagte- "sie hatte ein Nervenleiden". Bereits 1921 war sie 7 Monate in
psychiatrischer Behandlung in Waldbreitbach, 1926 noch einmal 3 Monate in Bonn. Sie gebar noch drei Jungen: Johannes, Leo und Willi. Ihr Mann Gabriel machte eine Lehre bei der Stadt Weißenthurm
und konnte Anfang der 20er Jahre durch persönliche Vermittlung eine Stelle als Stadtsekretär in Brühl bekommen. Er wurde Abteilungsleiter im Wirtschafts- danach im Wohlfahrtsamt und zum
Stadtobersekretär befördert mit einem für die damalige Zeit stattlichen Gehalt von ca. 500,00 RM monatlich. Die Familie lebte in einer städtischen Mietwohnung in der Mühlenstraße 79 in
Brühl.
Tatvorwurf: Die Metzgersfrau Josefine Reusch erhielt ca. 200 Fleisch- und Fettkarten, um die Bilanz von Fleischzuteilung und Fleischverkauf im Gleichgewicht zu halten. Maria Weber erhielt als Gegenleistung die Möglichkeit statt für 10,00 RM wöchentlich (zugestandener Grundbedarf an Fleisch, Butter und Fett für eine 6köpfige Familie) für 17,00 RM einzukaufen. Nicht etwa, dass sie das Fleisch und die Butter umsonst bekommen hätte, das Vergehen bestand ausschließlich darin, mehr einkaufen zu dürfen. Selbstverständlich damals ein großer Vorteil.
Rechtlicher Hintergrund:
Kriegswirtschaftsverordnung
§1 Abs.1 Kriegsschädliches Verhalten
Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseite schafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden.
(Kriegswirtschaftverordnung vom 4.9.1939)
Strafgesetzbuch
§ 2 Abs.1 Nr1 und 4 Verbrauchsregelungsstrafverordnung (VRStVO) vom 26. Nov. 1941 verlangte Geldstrafen bis zu 150,00 RM oder Haft
ür Verbraucher, die bezugsbeschränkte Erzeugnisse ohne oder auf unrechtmäßig erworbene Bezugsberechtigung bezogen oder Bescheinigungen über Bezugsberechtigungen kauften oder
verkauften.
Hinweis: Zuwiderhandlungen der Erzeuger und Händler waren sehr viel härter zu ahnden als die der Konsumenten. Hier gab es einen großen Ermessensspielraum des Richters.
Das Ermittlungsverfahren:
Maria Weber wird bereits am 20. März 1942 im Amtsgericht Brühl zu den Taten ihres am 18. März verhafteten Mannes und ihrer eigenen
Tatbeteiligung verhört (siehe Verhaftung und Prozess Gabriel Weber). Das Ermittlungsverfahren schwebt bis zum Prozess im April 1943 und wird vom gleichen Staatsanwalt André betrieben wie
seinerzeit das Verfahren gegen ihren Mann. Am 2. November wird sie erneut ins Amtsgericht Brühl vorgeladen und wiederholt hier vor Amtsgerichtsrat Liell als Richter und vor dem Justizangestellten
Kapelan als Urkundsbeamter im Wesentlichen ihre Aussagen vom 20. März 1942. Sie präzisiert ihre Angaben zu den Fleisch-, Wurts- und Buttermengen, die sie an Irma Ponsens, Elisabeth Böcking und
Elisabeth Horbach abgegeben oder die sie selbst eingekauft hat. Sie bestätigt noch einmal ausdrücklich, dass ihr nichts davon bekannt sei, dass ihr Mann etwa von dem Gastwirt Rösch irgendein
Entgeld erhalten hätte.
Im Zuge des Ermittlungsverfahrens wird am 7.11. auch noch einmal Frau Horbach verhört genauso wie die Ehefrau Peter Fuchs, Adele Keller aus der Mühlenstraße 7 und die Ehefrau Christian Broicher, Christine Krüll aus der Kölnstraße. Frau Fuchs und Frau Broicher bestätigen ihre Aussagen aus dem Prozess gegen Gabriel Weber, dass Frau Weber bei ihnen keine Einkäufe getätigt habe. Frau Horbach bestätigt noch einmal, "von den Machenschaften des Weber" keine Kenntnis gehabt zu haben.
Anklage
gegen Maria Weber wird am 5.3. 1943 erhoben.
Eine Abschrift der Anklageschrift (Original an das Sondergericht Köln) erhalten die Justizpressestelle und der Bürgermeister in Brühl (!), die Herren Amtsvorsteher (wahrscheinlich Amtsgericht Brühl?) und der Oberstaatsanwalt Meißner. Von der Angeklagten und dem Rechtsanwalt ist keine Rede bzw. die entsprechende Rubrik nicht ausgefüllt.
Maria Weber lässt sich vom Anwalt ihres Mannes Carl Becker vertreten und erteilt die entsprechende Vollmacht am 23.3.1942.
Der Prozess:
Die Hauptverhandlung wird auf den 1.4.1943 10.15 Uhr im Saal 182 terminiert. Geladen sind nur die Angeklagte und der Zeuge Justizsekretär Frese aus Brühl per Postzustellungsurkunde an Beide am 18. März 1943.
Am 24.3. bestätigt der Kölner Arzt H. Hennes in einem ärztlichen Attest den angegriffenen Gesundheitszustand (erste Behandlungen wegen Nervenleidens 1920 und 1926) und die herabgesetzte Belastbarkeit von Maria Weber. Er bittet um "besondere Schonung".
Die Hauptverhandlung dauert 30 Minuten. Die Anklagevertretung hat Herr Staatsanwalt Lewerenz vom bis dahin zuständigen Staatsanwalt André übernommen. Der Staatsanwalt fordert laut Sitzungsbericht 2 Jahre Gefängnis für Maria Weber.
Das Urteil:
Vom Sondergericht II (?) unter Vorsitz von Dr. Murhard wird Maria Wber am 1.4. 1943 zur Sühne"wegen fortgesetzten Verbrechens nach §1 Abs.1 der Kriegswirtsachaftsverordnung in Tateinheit mit Hehlerei und mit Vergehen gegen die Verbrauchsregelungstrafverordnung zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt".
Strafmildernd fällt ins Gewicht,
Strafvollzug:
Am 19. April 1943 wird Maria Weber gebeten, sich innerhalb einer Woche zum Strafantritt im Gefängnis Köln- Klingelpütz
einzufinden.
Aufschub des Strafvollzuges:
In dieser Woche vor Strafantritt erreicht der Rechtsanwalt Dr. Carl Becker mit seinem Begnadigungsersuchen einen Aufschub des Antritts der einjährigen Gefängnisstrafe bis zum 31. April 1946.
Begnadigungsgrund
ist die notwendige Versorgung der minderjährigen Kinder, die durch die Stadt Brühl (Kinderheimplatz) nicht sichergestellt werden
kann. Die Begnadigung ist durch eine entsprechende Bewährungsauflage eingeschränkt. Maria Weber verstirbt während dieses Strafaufschubes bereits am 14.1.1944.
Strafvollzugsbemühungen nach dem Krieg und dem Tod der Maria Weber:
Die Gefängnisstrafe für Maria Weber war nach dem Krieg keinesfalls vergessen. Die Akte wurde nach dem Krieg penibel weiter geführt. Die Bürokratie arbeitete ungebrochen und auch wohl auch ohne jeden Skrupel ihren Zeitplan aus der Zeit des Nationalsozialismus ab.
Die Staatsanwaltschaft wollte Maria Weber noch im Dezember 1945 pünktlich zum 01.06.46 im notdürftig wieder hergestellten Klingelpütz zum Strafantritt sehen. Weil sie nicht erneut straffällig geworden sei, reduzierte man allerdings das Strafmaß am 21.01.1946 entsprechend der Gesetzeslage auf ein halbes Jahr. Am 15.04.1946 erließ man die Strafe wegen eines entsprechenden Amnestieerlasses (Amnestie für Gefängnisstrafen im Krieg bis zu einem halben Jahr) der Militärregierung ganz und gar.
Die Justiz arbeitete nach dem Krieg offensichtlich nach nur kurzer Unterbrechung im Frühsommer 1945 unbesehen in aller Routine ihre Aktenlage ab. Dass Maria Weber bereits am 14.01.1944 verstorben war, davon hatte man nichts erfahren. Es störte auch niemanden, dass man augenscheinlich weder die Strafmilderung vom 21.01.46 noch die Amnestierung vom 15.04. an eine Person zustellen konnte. Am 16. Juni 1947 wurde die Akte offiziell geschlossen, weil es nach dem Amnestieerlass nichts mehr zu veranlassen gab.
Dass die Strafen beider Protagonisten schon so bald, nämlich im März 1947, stillschweigend (wie es später heißt) aus dem Strafregister gestrichen wurden - man weiß nicht, ob man diese justitielle Maßnahme als Hohn empfinden soll oder ob es nicht doch unter Genugtuung fällt. Sie gelten beide fürderhin im Himmel, so es ihn gibt, als nicht vorbestraft.
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