Gabriel Weber im Kreis seiner Kollegen. Rathaus Brühl. Foto privat
Der Plan für die Aufarbeitung des Falles Gabriel Weber sieht folgende Schritte vor (orange die 2017 noch ausstehen):
Gespräche mit Zeitzeugen aus dem familiären Umfeld:
Leo Weber (1942 14 Jahre alt), einziger noch lebender Sohn des Gabriel Weber ist überglücklich, dass sich nach so vielen Jahren (außer der Ehefrau) endlich jemand aus der Familie für das Schicksal seines Vaters, der Mutter und der Kinder interessiert. Leo Weber ist gerührt und voller Hoffnung, in Zukunft vielleicht mehr über das Schicksal seines Vaters zu erfahren als er selbst je ermitteln konnte und als er heute mit 87 Jahren noch die Kraft hat zu ermitteln. Er teilt all sein Wissen mit und gibt dem Vetter Winfried freie Hand für seine Recherchen. Er macht deutlich, wie undurchsichtig das Verfahren gegen seinen Vater und seine Mutter gewesen ist und dass alle seine Versuche, Aufklärung zu erhalten, nach dem Krieg gescheitert sind, weil die Akten nicht auffindbar waren, weil viele der Beteiligten keinerlei Unrechtsgefühl hatten, weil die Familie kein Verständnis dafür aufbrachte, dass er wissen wollte, weil Menschen von außerhalb der Familie eher daran gelegen war, den Mantel des Schweigens über das zu breiten, was geschehen war. Von der Stadt Brühl findet er sich in ganz besonderer Weise im Stich gelassen. Noch ein Brief an den Bürgermeister Kreuzberg 2006 mit der Bitte um Unterstützung bei der Würdigung seines nunmehr auch offiziell rehabilitierten Vaters blieb nicht nur ohne Wirkung sondern einfach unbeantwortet. Ein moderner Bürgermeister scheint schlicht anderes zu tun zu haben als sich um einen vor langer Zeit traumatisierten Bürger der Stadt zu kümmern. Den hehren Worten zur Vergangenheitsbewältigung, die gerade dieser Bürgermeister bei vielen Gelegenheiten von sich gab, entsprachen zumindest in diesem Fall die Taten nicht.
Schon in den ersten Gesprächen mit Leo Weber war es möglich, ihm Informationen zu geben, auf die er so lange vergeblich gewartet hatte. Endlich durfte er seine Befürchtung los lassen, der Vater sei zusätzlich zur entehrenden Enthauptung auch noch für irgendwelche erbbiologischen Forschungen missbraucht worden. Ausgelöst worden waren diese Befürchtungen durch die Mitteilung der Stadt Brühl Anfang der 50er Jahre, dass beim Friedhofsamt Bonn keine Eintragung zur Bestattung des Vaters auf dem Nordfriedhof zu finden sei und durch die Mitteilung, dass Grabungen auf dem vorbezeichneten Platz keine menschlichen Überreste zu Tage förderten. Die Angst, seine Mutter hätte die Kinder mit der Erzählung von der Bestattung auf dem Nordfriedhof getäuscht und sei mit ihnen zu einem Grab des Vaters gefahren, das es gar nie gegeben habe, war dabei das Schlimmste und eigentlich kaum Aushaltbare.
Die Mitteilung, dass ausweislich der neueren Forschungen durch ROTH und andere sehr wohl noch Unterlagen zum Prozess vorhanden sein könnten, war für ihn ebenfalls eine so sehr herbeigewünschte Überraschung.
Die Informationen aus den Gesprächen mit Leo Weber finden ihren
Platz an der jeweils passenden Stelle dieses Dossiers. Gibt es keinen direkten Anknüpfungspunkt, werden sie hier gesondert wiedergegeben.
Peter Ponsens, Neffe des Gabriel Weber (damals 6 jahre alt), erzählt, dass sein Vater leopold Ponsens nach dem
Urteil gegen Gabriel Weber anlässlich einer Geschäftsreise nach Berlin persönlich bei Himmler vorgesprochen habe, um eine Begnadigung seines Schwagers zu erreichen. Diese sei abgelehnt worden.
Die Schwester Hildegund Batta bezweifelt diese Aussage vehement. Sie glaubt, dass es aber durchaus andere Bemühungen auch ihres Vaters gab, eine Begnadigung zu erreichen. Tatsächlich erscheint
ein Gnadengesuch aus der Familie Ponsens heraus eher unwahrscheinlich, wenn nicht sogar kontraproduktiv, war doch die Ehefrau Irma Ponsens, geb. Oellig, Schwester von Maria Weber selber
Beschuldigte in einem eigenen Ermittlungsverfahren als regelmäßige Abnehmerin von Fleisch und Butter. Ob es hier gar zu einem Prozess gekommen ist, wird überprüft werden
müssen.
Hildegund Batta, Nichte des Gabriel Weber (damals 10 jahre alt), erinnert, dass Onkel Gabriel eher leichtsinnig gewesen sei und sehr freigiebig mit Lebensmittelkarten war. Er habe ein gutes Herz gehabt und habe u.a. auch Juden mit Lebensmittelkarten versorgt, ebenso arme Leute in seiner Kirchengemeinde. Der Grund für die Hinrichtung seien Bagatelldelikte gewesen. So sei das damals eben gewesen. Onkel Gabriel sei nach Bromberg in Polen strafversetzt (?) gewesen. Sie wisse nicht weshalb, aber sie glaube, dass das auch schon mit den Lebensmittelkarten in Zusammenhang gestanden haben könnte. Warum er aber zurück konnte, das erinnere sie nicht. Er sei plötzlich wieder da gewesen. Sie erinnert sich daran, dass nach dem frühen Tode der Mutter 1944 der jüngste Sohn Willi Mündel ihrer Mutter (Irma Ponsens) gewesen sei. Dass die anderen minderjährigen Kinder ebenfalls unter der Vormundschaft der Mutter Irma standen, ist ihr nicht vorstellbar, weil die doch alle "versorgt" gewesen seien: Leni (bereits volljährig) im Marienkrankenhaus in Brühl, Johannes beim Militär und dann im Braunkohlentagebau in Brühl, Leo beim Militär und dann bei der Stadt Brühl. Von der erzwungenen Herausgabe der Leiche des Gabriel weiß sie nichts, meint sich aber doch erinnern zu können an einen Besuch des Nordfriedhofs Bonn mit ihrer Mutter zusammen.
Bestellung der Frau Irma Ponsens zum Vormund über die Kinder Johannes, Leo und Willi Weber nach dem frühen Tod der
Mutter.
Beratungsanfrage Dokumentationszentrum ELDE- Haus
Herr Dr. Thomas Roth gab uns die entsprechenden Hinweise auf die Aktenzeichen, unter denen die Akte Gabriel Weber zu finden ist, die Aktenzeichen für die Verurteilung seiner Frau und den Hinweis, dass auch das Gefangenenbuch des Kölner Klingelpütz im Hauptstaatsarchiv lagert. Er erklärte sich sofort freundlicherweise bereit, für weitere Fragen zur Verfügung zu stehen und gegebenfalls behilflich zu sein bei der richtigen Einordnung von Informationen aus den Unterlagen.
Von ihm kam der wichtige Hinweis, dass es - will man den Hintergrund der harten Urteile aufklären - sinnvoller sein könnte, sich
mit dem Urteil gegen die Ehefrau zu beschäftigen.
Fund: Vermögensaufstellung nach dem Tod von Maria Weber
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Gabriel Weber sich selbst bereichert hat. Wenn er es tat, dann jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang. Was er für sich und die Familie möglicherweise abgezweigt hat, muss sehr wenig gewesen sein: Die Familie lebt in unzweifelhaft sehr einfachen, wenn nicht ärmlichen Verhältnissen mit 4 Kindern in einer kleinen städtischen Mietwohnung in der Mühlenstraße 79 auf dem 2. Stock. Was schließlich nach dem frühen Tod der Mutter im Januar 1944 an Erbe zu verteilen ist, passt auf eine halbe DIN A4 Seite und ist bis auf Klavier und Harmonium das Notwendigste, was eine Familie zum Leben braucht.
Nachfrage Friedhofsamt Bonn
Das Friedhofsamt Bonn gab die Nachforschungsbitte sofort an den Verwalter des Nordfriedhofs Herrn Warnecke weiter, der sich gleich an die Recherche machte und schon einen Tag später mitteilen konnte, dass Gabriel Weber tatsächlich auf dem Nordfriedhof bestattet wurde und die Bestattung mit dem Namen, Geburtsdatum und Todesdatum unter der Nummer 1835 im Totenbuch vermerkt ist. Die Bestattung fand statt auf dem Gräberfeld 15 an der Mauer zur Hans-Herter- Straße, der sog. Selbstmörderecke (siehe Bild unter Spurensuche- Der Neffe). In der ehemaligen Selbstmörderecke befindet sich heute eine Lagerstätte für Materialien der Friedhofsverwaltung. Der Friedhofsverwalter wusste bis zu dieser Anfrage nicht, dass hier überhaupt Bestattungen stattgefunden hatten.
Nachfrage Peter Thrams "Brühl im Nationalsozialismus"
Im wichtigen Buch aus den 80er Jahren zum Nationalsozialismus in Brühl befasst sich Thrams sehr eingehend mit der Verwaltung der Stadt, mit der Wirtschaft und dem Wirtschaftsamt, der katholischen Gemeinde St. Margareta und mit Todesurteilen für Brühler Bürger in dieser Zeit. An keiner Stelle taucht der Name Gabriel Weber auf oder irgendein anderer Hinweis auf diese doch nicht unbedeutende Person und auf diesen doch nicht unbedeutenden Prozess. Eine persönliche Nachfrage beim Autor ergibt, dass er keinen Hinweis auf dieses Urteil gefunden hat weder bei der Recherche im Archiv noch bei den Gesprächen mit Zeitzeugen.
Nachfrage Wolfgang Drösser, Historiker, regionale Geschichte von Brühl und Wesseling
In seinem Buch zur Geschichte Brühls taucht Gabriel Weber nicht auf. Auf Nachfrage teilt Herr Drösser mit, dass er kein Material zu Gabriel Weber habe und auch nirgendwo Unterlagen oder Hinweisen gefunden habe. Er erinnere sich aber, dass ihn Herr Hermann Lennartz (Johannesstift) in einem Gespräch mündlich auf den Fall Weber hingewiesen habe.
Nachfrage Stadtarchiv Brühl
Nachdem mehrere Anfragen an das Stadtarchiv Brühl seit Mitte Oktober2014 erst unbeantwortet geblieben sind, gibt es seit 2015 eine gute Zusammenarbeit, die 2016 in die Einsichtnahme der Personalakte des Gabriel Weber mündet.
Nachfrage Katholisches Pfarramt St. Margareta mit der Bitte, die Pfarrchronik für den Zeitraum 1942 durchsehen zu können auf evtl.
Hinweise
Noch keine Antwort
Nachfrage Heimatbund Brühl
Herr Hans vom Heimatbund Brühl (Vorsitzender) teilte uns mit, dass es beim Heimatbund keine Informationen über Gabriel Weber und den Prozess 1942 gebe. Er nannte uns eine Zeitzeugin, Frau Drath (Haus Wetterstein), eine "Urbrühlerin", die sich - wie sie ihm gesagt habe - an Gabriel Weber erinnern könne.
Nachfrage Anatomisches Institut Bonn
Herr Prof. Karl Schilling, Leiter des Instituts seit 1998, recherchierte sofort und nachhaltig, so dass wir sehr
schnell das entsprechende Schreiben des Landgerichts Köln zur Überstellung der Leiche zur Verfügung hatten. Er arbeitete neben dem Sonstigen Schriftverkehr auch Leichenbuch und Transportbuch des
Instituts durch. Außer der Ankündigung der Überstellung und der handschriftlichen Notiz zur Herausgabe der Leiche an die Angehörigen, sind keine weiteren Aufzeichnungen zu Gabriel Weber zu
finden. Ob die Leiche also jemals im Anatomischen Institut war oder von den Angehörigen sofort vom Klingelpütz aus zum Nordfriedhof gebracht wurde, wer vor allem die Herausgabe
der Leiche so mutig erstritten hat und wer den Transport wie bewerkstelligt hat, konnte er aus den Unterlagen nicht sagen. Die Entzifferung der handschriftlichen Notiz auf diesem Schreiben bringt
Klarheit, dass die Leiche des Gabriel Weber noch am 20.08. 1942 in die Anatomie eingeliefert wurde und am 24.08. an die Angehörigen wieder ausgeliefert wurde.
Hinweis zum möglichen Informanten bezüglich des Hinrichtungstermins. Hinweis auf die Person, die die Herausgabe der Leiche erreicht hat (Dezember 2014).
Der Sohn Leo erinnert im Zusammenhang der Erzählung der Mutter, dass Kaplan Esser aus Brühl (St. Margareta) den Vater bestattet hat, dass der Kaplan Esser am Tage der Hinrichtung oder am Tag danach die Mutter besucht habe. Er war auch am Tage der Hinrichtung beim Vater im Gefängnis. Dies stimmt überein mit dem, was allenthalben vom kath. Gefängnispfarrer Gehrkes immer wieder erzählt wird: dass dieser sich schon vor Kriegsende und erst recht danach bemüht hat, Angehörige von Hinrichtungsopfern aufzusuchen und zu informieren, dass er seine guten Kontakte zu den Vollzugsbeamten genutzt hat, auch einzelne Kontaktaufnahmen mit Angehörigen im Klingelpütz zu bewerkstelligen. Seinen Mitbruder, Kaplan Esser, am Hinrichtungstag ins Gefängnis zu "schmuggeln", dürfte eher zu seinen leichteren Übungen gehört haben. Dieser Kaplan Esser war im übrigen eng befreundet mit Gabriel Weber und gehörte zur festen Skatrunde zusammen mit Johannes Wichterich und dem Arbeitskollegen StOI Giefer aus Mayen. Zur Skatrunde gehörte auch Herr Bernhard Nieder, Abteilungsleiter in der Brühler Hauptverwaltung des RWE. Nieder war strenggläubiger Katholik und im Zentrum aktiv gewesen, nahm nach dem Tod der Mutter den Sohn Willi für mehrere Wochen in seine Familie auf. Kaplan Esser betreute nach dem Tod des Vaters Mutter Weber und Kinder, war nach dem Krieg auch Gast bei der Priesterweihe des jüngsten Sohnes Willi 1957.
Es erscheint als wahrscheinlich, dass Kaplan Esser als der, der über den Termin der Hinrichtung als Einziger vorzeitig Bescheid wusste, auch der
war, der dann im Namen der Mutter bzw. der Angehörigen für die Herausgabe der Leiche sorgte. Denkbar aber auch, dass Johannes Wichterich als bester Freund im Namen der
Angehörigen die Herausgabe der Leiche erstritten hat. Immerhin war bereits am 21.08.1942 mittags in Brühl und Köln die Hinrichtung auf dem üblichen blutroten Papier allüberall
plakatiert.
Die beim Hauptstaatsarchiv Düsseldorf vorgehaltene Akte Gabriel Weber mit dem Nachkriegsschriftverkehr bestätigt durch ein Schreiben des Sohnes Leo an den
Oberstaatsanwalt in Köln- das Schreiben datiert von Ende 1945 (!), dass Kaplan Esser für die Herausgabe der Leiche gesorgt hat. Er hat sie schlicht dem Institutsleiter abgekauft und die Leiche
dann auf dem Nordfriedhof in der Selbstmörderecke beigesetzt. Er beachtete dabei die staatliche Vorschrift, dass Hingerichtete keine ordentliche Grabstelle haben dürfen. Er tat dies wohl aus
freien Stücken zum eigenen Schutz und nicht, weil ihm dies etwa gerichtlich zur Auflage gemacht wurde. Möglicherweise hat auch der Institutsleiter Stöhr in den Verhandlungen um die Herausgabe auf
diesem Teil der Abmachung zum Selbstschutz bestanden. Gabriel Weber wurde donnerstags am Abend von der Anatomie im Klingelpütz abgeholt und nach Bonn gefahren. Des Wochenendes wegen wurde
er aus der Anatomie erst montags von Kaplan Esser abgeholt. Der wahrscheinlich illegale oder zumindest halblegale Freikauf der Leiche mag auch die Erklärung für die Besonderheit sein, dass die
Leiche erst gar nicht im Leichenbuch eingetragen wurde. Bekannt ist aus Institutsschreiben an das Justizministerium in Berlin aus dem Frühsommer 1942, dass das Institut sehr unter Leichenmangel
auf der einen, aber auch auf der anderen Seite unter Geldmangel litt. Es fehlte besonders das nötige Geld, um sich Benzin für den Leichentransport kaufen zu können, so dass man sehr häufig darauf
verzichten musste, Leichen außerhalb eines Radiusses, der in etwa bis Koblenz bzw. Düsseldorf reichte, abzuholen. Der Streit um die Zahl der dem Institut zustehenden Hinrichtungsleichen mit der
Uni Köln eskalierte so, dass er schließlich vom Reichjustizministerium geschlichtet werden musste. Ein erster Freikauf einer Leiche allgemein wie besonders der Freikauf über den beisetzenden
Pfarrer, hier Gertges als katholischer Anstaltspfarrer im Klingelpütz, ist bereits für 1933 dokumentiert. Nach Zahlung von "mehreren hundert Mark" für Transport etc. (so im erhalten gebliebenen
Entwurf eines Briefes des Institutsleiters an Pfarrer Gertges) war der Institutsleiter (hier Sobotta) bereit, die Leiche an Gertges bzw. die Angehörigen heraus zu geben. In diesem Fall war die
Leiche im Leichenbuch schon vermerkt, was einen eigenen Auslieferungsvermerk im Leichenbuch nötig machte. Im Falle Weber fehlt der Eintrag ins Leichenbuch, die Herausgabe der Leiche ist nur per
Bleistift auf dem amtlichen Tötungsbescheid vermerkt.
Nachfrage Frau Drath, Brühl (Dezember 2014, auf Hinweis Heimatbund Brühl)
Frau Drath ist nach kurzer Besinnung schnell im Bilde über das damalige Geschehen, als ich ihr erzähle, dass ich Näheres über das Schicksal meines Onkels, Gabriel Weber, herausfinden möchte. Frau Drath war damals noch Kind und kann sich trotzdem an den "schrecklichen Fall" Weber erinnern. Sein Prozess und seine Hinrichtung seien damals Stadtgespräch gewesen, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, weil jeder Angst hatte, da mit hinein gezogen zu werden. Sie glaubt den Sohn Leo aus Kinder- oder Schulzeiten zu kennen. Ihr Onkel, ein Herr Bong, war wohl Nachbar der Webers, wohnte in der Mühlenstraße 81. Frau Drath ist die Kusine von Josefine Reusch, der Metzgersfrau, die vom Sondergericht zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Die sei damals schier verrückt geworden vor Angst und habe die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik dem Zuchthaus vorgezogen. In den Fall seien eine ganze Reihe Brühler Bürger verwickelt gewesen. Sie gibt Hinweise auf die Bilder- Bücher von Rothkamp über Brühl und empfiehlt Frau Freeriks vom Archiv der Stadt als besonders bemühte Ansprechpartnerin. Sie könne sich auch vorstellen, dass Herr Kuhl über seinen Vater bzw. Großvater einige Informationen zum Fall Weber erhalten haben könnte. Ich solle ihn ruhig ansprechen.
Endlich gibt es Jemanden aus Brühl, der etwas von Gabriel Weber weiß.
Nachfrage Herr Hermann Lennartz, Brühl (Januar 2015, auf Hinweis von Wolfgang Drösser)
Herr Lennartz muss sich nur kurz besinnen und seine Erinnerung ist da. Was ihm erstaunlicherweise zuerst
einfällt, dass Gabriel Weber sehr aktiv war in der Katholischen Männerarbeit. Sein katholisches Engagement sei der Grund, weshalb er zum Opfer geworden sei. Offiziell verurteilt worden sei er
wegen der Unterschlagung von Lebensmittelkarten. Dazu habe es aber einen entsprechenden Auftrag der Herren Pick und Pott gegeben, dem sich Gabriel Weber hätte nicht entziehen können. Die Karten
seien für die Versorgung der gesamten Parteispitze bestimmt gewesen.
Es sei ihm nie begreiflich gewesen, dass die Stadt Brühl sich um diesen Mann nie gekümmert habe. Er habe mehrfach mir
unterschiedlichen Leuten über Gabriel Weber gesprochen: u.a. mit Christian Kremer vom Kolpingsverein (jetzt Haus Wetterstein) und mit dessen Frau Maria, geb. Vogel. Aber auch mit
dem alten Rechtsanwalt Nagel, der Herrn Weber vor Gericht vertreten habe. Der habe ihm versichert, dass es zu keinem Zeitpunkt eine Chance für Gabriel Weber gab. Die Herren Pick
und Pott hätten jede Beteiligung an der Unterschlagung abgestritten. Mehr wisse er leider nicht. Tatsächlich hat Herr Nagel Gabriel Weber nicht verteidigt- das war Dr. Carl Becker IV in
Köln. Herr Nagel hat wahrscheinlich die Mutter vor dem Amtsgericht Brühl verteidigt. Aber auch das stimmt nicht: Maria Weber stand ebenfalls vor dem Sondergericht in Köln und der Verteidiger
ihres Mannes war auch ihr eigener: Herr Carl Becker IV. Dass der bekannte Rechtsanwalt Nagel aus Brühl Herrn Becker kannte, ist nicht unwahrscheinlich. In der Folge scheint es in der
Nachkriegszeit zu Gesprächen gekommen sein, in denen es darum ging, ob man die Hinrichtung hätte verhindern können.
Er selbst erinnere sich noch an die Tochter des Gabriel Weber Leni, die in der Küche des Marien- Krankenhauses gearbeitet habe und
er wisse noch von dem jüngsten Sohn, der Priester geworden sei und in den 70ern sein Amt aufgegeben habe. Er selbst war nach dem Krieg Messdiener und bekam als Belohnung im Krankenhaus immer ein
ordentliches Frühstück, damals keine Selbstverständlichkeit. Das Messdieneramt war entsprechend begehrt.
Während der Entnazifizierung hätte sein Vater Einzelnen einen sog. "Persilschein" ausstellen können. Eines Tages habe aber auch der ehemalige Bürgermeister Pick in der Tür gestanden und ein entsprechendes Papier verlangt. Der Vater habe ihn aus dem Haus geworfen, jedenfalls ein entsprechendes entlastendes Schreiben verweigert.
Er sei sich sicher, dass Herr Kremer mehr über die Geschichte wisse. Ich solle mich unbedingt an ihn wenden. Er ist interessiert an den Ergebnissen der Recherche. Ich sage zu, ihn in absehbarer Zeit über die Ergebnisse der Recherche zu informieren.
Brühl kennt Gabriel Weber also doch und besser als erwartet. Dieses Gespräch offenbart sogar intime Kenntnisse zum Fall des
Gabriel Weber (Name des Rechtsanwalts der Mutter). Zum ersten Mal wird sein katholischer Hintergrund betont und bestätigt, Rechtsanwalt Nagel wird namentlich erwähnt. Und es werden Vermutungen
über "politische" Hintergründe des Urteils formuliert. Das Gespräch hat erheblichen Informationsgehalt und bestätigt ganz überraschend deutlich das, was wir selber bisher als Hypothese vom
"Bauernopfer Gabriel Weber" formuliert haben. Bemerkenswert, dass das Schicksal von Gabriel Weber den Vater von Herrn Lennartz und ihn selbst so sehr berührt hat, dass es immer
wieder Thema von Gesprächen und sogar Nachfragen war. Oder anders formuliert: Erstaunlich ist doch eher, dass das Schicksal ihrer Mitmenschen in der Nachkriegszeit Vielen wohl gleichgültig war-
Herr Lennartz bildet hier eine Ausnahme. Vielleicht nicht nur er.
Nachfrage Herr Christian Kremer (auf Hinweis Herr Lennartz, Januar 2015
Herr Kremer bestätigt die Angaben von Herrn Lennartz und hat mit Leo Weber ein Treffen vereinbart
Sichtung der vorhandenen Akten beim Hauptstaatsarchiv in Duisburg am 11.02.2015
Ein eigenartiges Gefühl der Anspannung und Aufgeregtheit vor Betreten des Gebäudes. Aufgeregt auch deshalb, weil ich das Gefühl hatte, in die Intimsphäre von Gabriel und Maria Weber einzudringen- so als ob die Unterlagen mir nicht zustünden, aber auch ein tiefes Gefühl von Verbundenheit und Betroffensein.
Sehr freundliche und lichte Athmosphäre, große Hilfsbereitschaft. Alles war vorbereitet, alle Einsichtnahme genehmigt.
Dann die große Enttäuschung: die Strafakte (Aktendeckel original und im typischen Rot, mit dem besonderen schriftlichen Hinweis, sie vorsichtig zu handhaben, weil sie sehr fragil) war leer- bis auf einigen Schriftverkehr aus der Nachkriegszeit. Gehofft hatte ich darauf, dass zu meiner großen Überraschung entgegen der Beschreibung in der Literatur eben dann doch alles vorhanden sei: Ermittlungsakten, Verhörprotokolle, Urteil, Beiakten etc. Aber nun? Gar nichts? Auch das Todesurteil nicht. Nicht mal das. Ich gebe den Auftrag, noch einmal nach zu forschen, ob ich evtl. nur eine Teilakte zur Verfügung hätte. Aber es ist tatsächlich nichts vorhanden.
Ich gebe einen weiteren Rechercheauftrag: die Akte zur kriminalbiologischen Untersuchung und das Gefangenenbuch des Klingelpütz. Nach kurzer Zeit habe ich die Akte der Untersuchung in den Händen: mit zahllosen persönlichen informationen zu Gabriel Weber und: einer beglaubigten Abschrift des Todesurteils. Sehr bewegt bin ich von handgeschriebenen Zeilen von Gabriel mit der Überschrift "Mein Bericht". Die Schrift kann ich in der kurzen Zeit und aufgeregt, wie ich noch immer bin, nicht lesen. Ich erfahre, dass Gabriel Weber noch bis zum Tod der festen Überzeugung war, begnadigt zu werden. Ich erfahre aus einer kurzen Notiz, dass das Urteil abends vollstreckt wurde, pünktlich eben. In Steno ist wohl die Hinrichtung dokumentiert. Ich kann es nicht lesen und warte jetzt auf die Kopie. Sein Sohn will mir die Zeilen übersetzen.
Der Rechercheauftrag zum Gefangenenbuch Klingelpütz konnte nicht mehr abgeschlossen werden. ich gebe einen entsprechenden Kopierauftrag.
Dann nehme ich mir die Akte Maria Weber vor. Die Akte ist vollständig, mit Verhör und allem. Ihr Verfahren wurde sehr viel später durchgeführt, als wir
dachten: im Frühjahr 1943 vom Sondergericht IV unter Richter Murhard. Sie wurde nur zu Gefängnis verurteilt, immerhin zu einem ganzen Jahr und stand kurz vor der Aufnahme in den
Klingelpütz, als ihr Verteidiger Becker eine Strafaussetzung bis zum 30.05.1946 erreichte.
Besondere Überraschung: in der Akte findet sich ebenfalls eine beglaubigte Abschrift des Urteils gegen ihren Mann. Auf das schriftliche Urteil wurde vom Gericht immer wieder Bezug genommen. Das, wonach so mancher Staatsanwalt nach dem Krieg bis in die 90er Jahre verzweifelt gesucht hat, war nun gleich zweifach vorhanden. Wie verzweifelt gesucht wurde, geht aus dem Nachkriegsschriftverkehr in der Akte Gabriel Weber hervor: da ist einmal die dringende und persistierende Anfrage der Spruchkammer in Montabaur, die sich mit den Taten des Wilhelm Pott auseinandersetzte, dann die Anfrage des Sohnes und später die ebenfalls ungeduldigen Nachfragen des Justizministeriums NRW nach dem Verbleib des Todesurteils.
Nachfragen bei Sabine Eibl, Hauptarchiv Düsseldorf
Frau Sabine Eibl kann mir schon am 11.2. helfen, die kriminalbiologische Akte zu finden. Eine erbetene Nachrecherche ergibt, dass es in Duisburg wohl keine weiteren Unterlagen zum Fall Weber gibt. Frau Eibl sagt mir jede Unterstützung zu.
Nachfrage bei Marita Berg, Hinweis von Frau Sobczak (15.04.2015)
Frau Marita Berg ist sofort im Bilde und berichtet, die Webers und ihre Eltern seien Nachbarn gewesen, sie selbst hätten im Haus gegenüber gewohnt und hätten den Webers sozusagen direkt in die Wohnung schauen können. Sie selbst war 1942 erst 13 Jahre alt. Seitdem habe sie das Todesurteil gegen den Nachbarn nicht losgelassen. Sie weiß von 3 Kindern: der blinden Tochter Leni, die später im Krankenhaus gearbeitet habe, dem ältesten hoch gewachsenen Sohn Johannes und dem "halbwüchsigen" Sohn Leo.
Der Gabriel Weber sei eines Tages von der Polizei abgeholt worden und es sei das Gerücht gegangen, er habe mit Lebensmittelkarten gemaggelt. Das habe aber niemand in ihrem Umfeld geglaubt, weil der Herr Weber so fromm und gläubig gewesen sei. Später sei das Gerücht umgegangen, die Parteibonzen hätten für ihre ausladenden Feste sich des Gabriel Weber bedient. Der habe für die entsprechenden Bezugskarten gesorgt, sei wohl beim Wirtschaftsamt beschäftigt gewesen. Dann habe es plötzlich gehießen, Herr Weber sei in Köln zum Tode verurteilt worden.
Gefeiert hätten die Bonzen vor allem bei Wilhelm Rösch im Ratskeller. An den Sohn Toni würde sie noch heute im Bösen denken. Ihr Großvater, der ein einträgliches Dachdeckergeschäft betrieben habe, habe dem Vater des Toni Rösch, Wilhelm 20.000,00 RM geliehen- wie damals üblich mit Handschlag. Dieser und andere Kredite hätten zur Altersvorsorge für seine Frau und die Kinder gedient. "Wenn du Geld brauchst", hätte der Großvater zu seiner Frau gesagt, "dann kannst zu zu dem und dem gehen und dir das Geld zurückholen". Besagter Toni Rösch, Sohn des im Okt. 1941 verstorbenen Wilhelm Rösch, habe dann am Tag vor der Währungsreform 1948 in der Tür gestanden und der Großmutter 20.000,00 wertlose Reichsmark aufgedrängt. Die Oma hätte sich gewehrt mit Händen und Füßen und gebeten, nur einen einzigen Tag zu warten, aber es habe alles nichts genutzt.
Sie hätten zu Webers aber sonst keinen engen Kontakt gehabt, die Familie habe eher zurückgezogen gelebt. Sie hätte das Urteil immer für ungerecht gehalten und nie verstanden, dass niemand sich damit beschäftigt habe. Man habe soviele Dinge untersucht in Brühl, aber das nicht. Sie habe eben seinerzeit Frau Sobczak angesprochen, dass sich doch mal jemand darum kümmern müsse. Sie freue sich so, dass ich (Winfried Ponsens) dass jetzt tue.
Zur Metzgerei Reusch, weiterer Abnehmer von Lebensmittelkarten des Gabriel Weber, vermerkt sie, dass dies eine sehr lebensfreudige Familie gewesen sei.
Nach kurzer Zeit Rückruf von Frau Berg und Hinweise auf das Stadtarchiv Brühl, das ELDE- Haus in Köln und das Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf. Wir wollen in Kontakt bleiben.
Nachfrage Bundesarchiv Berlin- NSDAP- Gaukartei, Auszug Personalakte Abordnungen Ostdienste und Akten Reichsjustizministerium
Gabriel Weber wurde Parteimitglied (Nr. 5 619 577) am 1.5. 1937. Am 26.3.1942 wurde er aus der Partei ausgeschlossen, 8 Tage nach seiner Verhaftung.
Bei der kurzfristigen Abordnung nach Bromberg (Posen) wurde ein Aktenauszug der Personalakte der Heimatbehörde Brühl angefertigt.
Die Gnadenakte zu Gabriel Weber ist verschollen. Seine Ermordung ist im sog. "Mordregister" des Reichsjustizministeriums unter der Nr. 1265/42 erfasst.
Telefongespräch mit Frau Freeriks vom Stadtarchiv Brühl (08.05.2015):
Überraschend meldet sich am 08.05.2015 das Stadtarchiv Brühl (Frau Freericks) nach einem Hinweis von Hans J. Rothkamp und sagt bestmögliche Unterstützung bei der
Recherche zu.
Am selben Tag noch schickt das Archiv eine Kopie der Meldekarte "Weber" der Stadt Brühl von 1920. Auch die kurzfristige Abordnung nach Bromberg in Polen ist hier mit Datum vermerkt: 01.06.1940. Damit steht im Zusammenhang mit anderen Dokumenten fest: bis zum 31. 05.1940 war Weber Leiter der Wirtschaftsstelle Brühl und organisierte die Warenrationierung der Stadt Brühl.
Gabriel Weber kehrte aus Bromberg wegen Krankheit bereits nach 6 Wochen um den 15.07.1940 wieder an seinen Arbeitsplatz Wirtschaftsstelle in Brühl zurück. Welche
Funktion er dann dort genau ausübte, bleibt unklar. Im Zuge der Umordnung der Verwaltung nach dem Weggang von Pott nach Wesseling ist Weber dann zum 01.07.1941 zum Fürsorgeamt gewechselt als
Abteilungsleiter Familienunterhalt.
Als Weber in Bromberg arbeitet, erschüttert übrigens ein gewaltiger Korruptionsskandal Bromberg. Der Oberbürgermeister und Kreisleiter Werner Kampe hat
beschlagnahmte Einrichtungsgegenstände unterschlagen und zusätzlich 500.000,00 RM der Treuhandstelle Ost veruntreut. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren wird aus Gründen der Parteiräson
niedergeschlagen. Stattdessen belegt ihn ein Parteigericht mit einer "Warnung". Kurz darauf wird er 1941 Kreisleiter in Danzig. Vielleicht hat Weber daraus auch für sich selbst gelernt und später
tatsächlich geglaubt, ihm werde schon nichts passieren? Auf diese Frage werden wir eher keine Antwort finden.
Akteneinsicht Personalakte Gabriel Weber beim Personalamt der Stadt Brühl am 12.07. 2016
Ähnliche Erfahrung wie beim Hauptstaatsarchiv: als ich die Akte in die Hände nehme habe ich das Gefühl, nicht nur Geschriebenes vor mir zu haben, sondern etwas Lebendiges. Irgendwie habe ich das Gefühl, dem lebenden Gabriel Weber selbst zu begegnen oder auch Teil der gewaltsamen Beendigung dieses Lebens zu sein.
Leo hatte seine gewünschte Begleitung kurzfristig am Vortag dann doch abgesagt. Er traut es sich nicht zu. Tatsächlich glaube ich, weil es ihm ähnlich wie mir geht: die Akte atmet das Leben des Vaters. Wer denkt so etwas von einer toten Akte im Keller? Diese Nähe ist für den Sohn zuviel, für mich als Neffen gerade noch erträglich. Die innere Unruhe, das Zittern in den Händen hält im Übrigen den ganzen Tag an. Die Unruhe hat deutlich nichts mit Befürchtungen zu tun, irgendwelchen "unangenehmen" Überraschungen zu begegnen.
Die Akte ist eine wahre Fundgrube. Sie enthält gesicherte Unterlagen zur Person in Form eines selbst geschriebenen Lebenslaufs angesichts der Bewerbung um eine Stelle in Brühl, die vermerkten Gehälter und Stellenwechsel, schließlich die vollständige Ermittlungsakte der Stadt durch Dr. Josef Effertz und die Kriminalpolizei, die Anklageschrift, die Zeitungsberichte fein säuberlich ausgeschnitten und aufgeklebt und abgeheftet sogar das Bekanntmachungsplakat. Ausführlicher Bericht unter Ermittlungsakte.
An dieser Stelle sollen sonstige Dokumente ihren Platz finden, die von historischen Anschauungsinteresse sind oder im historischen
Umfeld von Bedeutung sind.
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