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"Das Leben ist nicht das, was geschah, sondern das, woran man sich erinnert und wie man sich daran erinnert." (Gabriel Garcia Márquez)

 

Dieses Dossier ist der Versuch, aus den zur Verfügung stehenden
Zeugnissen, Bildern und Erzählungen, aber auch aus den Akten und entsprechend den Ergebnissen wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema ein persönliches Schicksal zu rekonstruieren oder mindestens plausibel darzustellen. Ein Schicksal, das im Falle des Gabriel Weber und der vielen anderen, die hingerichtet wurden, typisch war für die Zeit, in der sie leben und sterben mussten. Ein Schicksal, das 50 Jahre lang und länger beschwiegen wurde, beschwiegen sowohl und
besonders im Kreis der Familien genauso wie in der historischen
Forschung und in der juristischen Forschung allemal. Ein Schicksal, zu dem sich lange Jahre mehr Fragen stellten als Antworten zu finden waren.

 

Heute nach über 70 Jahren können wir über weite Strecken nur vermuten oder schließen, was genau gewesen ist. Wir werden uns bemühen, möglichst wenig zu spekulieren. Wir werden kenntlich machen, was die Fakten und was Schlussfolgerungen aus den Fakten sind. Wir glauben, die Geschichte einigermaßen plausibel rekonstruieren zu können und wollen am Schluss die kohärente Erzählung erzählt haben, die Gabriel Weber gewiss schon hätte verdient gehabt, als die noch lebten, die ihn und seine Geschichte gut kannten, aber schwiegen. Unsere Eltern und Verwandten haben während des Krieges geschwiegen, sie haben keine Erzählung und keine Wahrheit schaffen wollen, wahrscheinlich aus guten Gründen des Selbstschutzes. Warum sie auch nach dem Krieg geschwiegen haben und auch zufrieden waren, dass andere schwiegen und stillhielten, werden wir heute kaum mehr herausfinden können. Was wir sicher wissen, ist einzig, dass die meisten lieber nichts erzählen und sich lieber nicht erinnern wollten, wenn wir Nachgeborenen denn nachfragten. Vielleicht wollten wir aber selbst nicht wirklich wissen und haben deshalb zum ungünstigen Zeitpunkt oder insgesamt falsch gefragt. Vielleicht waren wir auch mit uns selbst so sehr beschäftigt, dass wir es gar nicht schafften, uns in das Schicksal derer hinein zu versetzen, die damals nichts als Leid tragen mussten. Vielleicht waren wir damit den Eltern und Verwandten ähnlicher als wir dachten, ähnlich geschickt im Wegschauen und ähnlich ängstlich vor der Erfahrung, die es bedeutet hätte, wenn wir denn hingeschaut hätten. Es ist so, als würden wir Nachgeborenen mit dem Hinschauen heute eine Pflicht erfüllen, die wir den Opfern lange schon schulden.

 

Teile der eigenen Lebensgeschichte, die verschwiegen werden, verschwinden deshalb nicht. Sie bleiben Teil des eigenen Lebens, Teil der Familie, manchmal ausgerechnet umso mehr, je weniger man darüber spricht. Mit dem Nationalsozialismus, mit dem 2. Weltkrieg und mit dem Holocaust verbinden sich in vielen Familien Ereignisse, die offensichtlich sprachlos gemacht haben, sei es weil das Erlebte einem die Sprache verschlug oder sei es, dass die eigene Verstrickung so tiefgreifend oder so verdeckt war, dass man nie mehr erinnert werden wollte. Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass man kindlich glaubte, wenn man nicht mehr hinschaute, wenn man nicht mehr erinnerte, dass es dann auch nicht geschehen sei.

 

Wir wollen endlich diesem Onkel, der von uns jetzt 70 Jahre weit fort ist, wir wollen endlich diesem fernen Vater, der trotzdem als Bild noch so gegenwärtig ist, seine Erzählung schenken in der vielleicht naiven und paradoxen Hoffnung, ihm in der Erzählung seines Todes  ein Stückchen Leben zurückgeben zu können- mindestens aber seine Würde.


Wir freuen uns - und gemeint sind mit "wir" alle, die zu dieser Website
beigetragen haben - wir freuen uns, wenn viele sich durch diese Website angesprochen fühlen, seien sie irgendwie mit Gabriel Weber verwandt oder bekannt oder auch nicht. Wir sind davon überzeugt, dass, wer sich in Einzelschicksale hineinfühlt, auch etwas für sich gewinnt: egal ob es sich um Wissensvergrößerung handelt oder darum, besser zu verstehen, dass das, was damals geschehen ist, auch Spuren in ihm selbst und Spuren in den nachfolgenden Generationen gezogen hat und dass das, was geschehen ist, sich niemals wiederholen darf. Vielleicht versteht der Eine oder Andere danach auch ein wenig mehr von sich selbst.

 

Wir freuen uns, wenn Sie uns schreiben, wenn Sie uns berichtigen, wo wir falsch liegen, wenn Sie uns aus eigenem Wissen oder sogar intimer Kenntnis der Dinge ergänzen.

Schreiben Sie uns öffentlich oder anonymisiert im Gästebuch oder nutzen Sie, wenn Sie absolute Vertraulichkeit wünschen, das Kontaktformular. Oder sprechen Sie mit uns. Wir rufen gerne zurück, wenn Sie uns eine Mail mit Ihrer Telefonnummer schicken.


Wir haben bis jetzt von wenig nur wirkliche Kenntnis und viel Wahrheit liegt noch ungeborgen irgendwo in Brühl oder anderswo- so hieß es 2014 noch. Mittlerweile wissen wir sehr viel mehr, aber doch noch zu wenig, um sagen zu können, die letzte Wahrheit sei aufgedeckt.

 

Vielleicht ist dieses Dossier der Anfang eines gemeinsamen Gedenkens auch für die anderen Hinrichtungsopfer der Sondergerichte in Köln. Es sind mindestens 127 Opfer, die während des Krieges von den Kölner Sondergerichten "ordentlich" zum Tode verurteilt worden.

 

Mit Informationen zur Website haben bisher beigetragen:  Leo und Liesel Weber, Winfried Ponsens, Irmtrud Neumann, Hildegund Batta, Peter Ponsens, Herr Warnecke vom Friedhofsamt Bonn, Herr Dr. Thomas Roth vom Dokumentationszentrum ELDE- Haus, Herr Hans vom Heimatbund Brühl, Herr Prof. Karl Schilling vom Anatomischen Institut in Bonn, Herr Drösser, Frau Drath, Herr Lennartz und Herr Kremer aus Brühl, Frau Sobczak aus Brühl und Frau Marita Berg ebenfalls aus Brühl, ganz besonders Frau Sabine Eibl vom Hauptstaatsarchivarchiv in Duisburg, Frau Freeriks vom Stadtarchiv Brühl und Herr Rampe als heutiger gewissenhafter Hüter der Personalakte des Gabriel Weber.

 

Vielen Dank für den kleinsten Hinweis.


Version dieser Seite:  1/2017