Spurensuche- der Sohn Leo

 

Der Sohn Leo, dem durch staatliches Unrecht der Vater auf grausame Weise genommen wurde, suchte sein Leben lang nach diesem Vater- und sonst eigentlich gar nichts. Er suchte sein Leben lang nach Antwort auf die eine Frage: Warum? Warum der Vater? Warum ausgerechnet er? Warum ausgerechnet so? Wer hat was dafür getan? So sehr hat er nach Antworten gesucht, dass er ein eigenes Leben kaum spüren und führen konnte. Den Abschiedsbrief des Vaters und die neun anderen Briefe des Vaters aus der Haft, er hat sie schließlich Anfang 2014 verbrannt in der verzweifelten Hoffnung, so zumindest in seinem hohen Alter den inneren Zwang verlieren zu können, diesen einen Brief, den Abschiedsbrief, täglich lesen und dabei weinen zu müssen.

 

Und es ist so erstaunlich, was Menschen im Überlebenskampf zu leisten imstande sind: nebenbei sozusagen führte der Sohn Leo ein erfolgreiches bürgerliches Leben wie andere auch, war Vater und Ehemann. Aber in erster Linie ging es immer nur um eins: darum, selbst das Trauma zu überleben.

 

Tatsächlich wurde 2013 bei Leo Weber von der Uniklinik Bonn ein PTB (posttraumatisches Belastungssyndrom) diagnostiziert. "Einer PTBS gehen definitionsgemäß ein oder mehrere belastende Ereignisse von außergewöhnlichem Umfang oder katastrophalem Ausmaß (psychisches Trauma) voran. Dabei muss die Bedrohung nicht unbedingt die eigene Person betreffen, sondern sie kann auch bei anderen erlebt werden (z. B. wer Zeuge eines schweren Unfalls oder einer Gewalttat wird). Die PTBS ... geht mit unterschiedlichen psychischen und psychosomatischen Symptomen einher. Häufig kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit, sowie durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Ich- und Weltverständnisses[1][2]. Weitere Synonyme für „Posttraumatische Belastungsstörung”: Posttraumatische Belastungserkrankung, Posttraumatisches Belastungssyndrom, Psychotraumatische Belastungsstörung, basales psychotraumatisches Belastungssyndrom.[

Eine Posttraumatische Belastungsstörung entsteht weder aufgrund einer erhöhten psychischen Labilität, noch ist sie Ausdruck einer (psychischen) Erkrankung – auch psychisch gesunde und gefestigte Menschen können eine PTBS entwickeln.[6] Es gibt jedoch bestimmte Risikofaktoren, die es wahrscheinlicher machen, dass eine Person das Vollbild der PTBS entwickelt (siehe unten).

Die PTBS stellt einen Versuch des Organismus dar, eine traumatische, mitunter lebensbedrohliche Situation zu überstehen. Daher handelt es sich ursächlich nicht um eine Störung (Fehlfunktion), sondern um eine gesunde und zweckdienliche Reaktion. So konnten Neurowissenschaftler der Universität Utrecht zeigen, dass PTBS-Patienten ungewöhnlich schwach auf physischen Schmerz reagieren.[7] Die ebenfalls geläufige Bezeichnung „Posttraumatische Belastungsreaktion” weist auf diese Unterscheidung hin, gleichzeitig verdeutlicht sie in ihrer begrifflichen Anlehnung den Unterschied zur so genannten Akuten Belastungsreaktion, welche als eine kurzfristige, auf die Überlebenssicherung abzielende Reaktion auftreten kann und nicht wie die PTBS zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung führt." (zitiert nach https://de.wikipedia.org/wiki/Posttraumatische_Belastungsst%C3%B6rung  

Betroffene entwickeln teilweise schon bald nach dem traumatisierenden Ereignis "Belastungsstörungen", teilweise treten diese aber auch erst in hohem Alter auf.

 

Gabriel Weber, Vater von 4 Kindern, an seinem Arbeitsplatz im Rathaus der Stadt Brühl 1941, Wohlfahrtsamt

Der Lebenslauf des Sohnes Leo: 

Geboren am 08.05.1927 als drittes Kind der Eheleute Gabriel und Anna Maria Weber, geb. Oellig. Besuch der Volksschule von 1933 bis Ostern 1941.

Bis zur Verhaftung meines Vaters durchlebte ich mit meinen Geschwistern eine unbeschwerte Kindheit.

Mutter Maria Weber mit den drei Ältesten im Garten der Oma, als die Welt noch in Ordnung war (um 1931)

Dann begann die schlimmste Zeit meines Lebens - Prozess von Vater- Urteil- Hinrichtung- rote Plakate (in Brühl und in Köln)

Ab Ostern 1941 besuchte ich die Handelsschule in Köln. 1942 war das SchicksaI meines Vaters beim Lehrpersonal und bei den Mitschülern nicht zu verheimlichen. Direktor Wirtz, der Leiter der Schule, eröffnete mir, ich solle die Schule verlassen. Nur durch die Hilfe eines guten Bekannten von Vater (ein Regierungsbeamter in Berlin, der in Brühl wohnte) konnte ich die Handelsschule bis zum Abschluss der Mittleren Reife am 31.03.1943 weiter besuchen. Der Weiterbesuch der Höheren Handelsschule mit dem Abschluss Diplom- Kaufmann - dies war mein Wunsch gewesen - wurde jedoch aus politischen Gründen nicht erlaubt.

 

Die Aufnahme einer Tätigkeit bei der Fa. Deutsche Norton GmbH in Wesseling als kaufmännische Hilfskraft ab 01.04.1943 gelang nur mit Hilfe des Leiters des Arbeitsamtes in Brühl, Herr Haas, der ebenfalls mit Vater gut bekannt war.

 

Dann ist da noch die Verurteilung von Mutter zu 3 Jahren Zuchthaus (2015 aus den Unterlagen korrigiert auf 1 Jahr), ausgesetzt bis zum Kriegsende. Aber Mutter wurde krank und es erfolgte die Einweisung ins Krankenhaus, Operation und Tod am 14. Januar 1944.

 

Die briefliche Frage meiner Tante Irma, Schwester meiner Mutter, kurz nach dem Tod meiner Mutter an den Bürgermeister der Stadt Brühl Pick, was nun mit den Kindern Weber werden solle, wurde durch die Einberufung zum Kriegsdienst am 01.03.1944 beantwortet.

So wurde ich mit 16 Jahren eingezogen und durfte als "politisch Unzuverlässiger" als Kanonenfutter dienen. Welche Farce!

Vor der Entlassung aus Kriegsgefangenschaft (Lager Heide in Schleswig- Holstein) am 21. Juni 1945 wurde ich von einem amerikanischen Colonel, der meinen Wehrpass in Händen hielt, verhört. (Die Wehrpässe der Soldaten wurden nicht vom Soldaten selbst sondern von einer Wehrmachtsdienststelle aufbewahrt). Hierbei erfuhr ich, dass in meinem Pass vermerkt war: "Inhaber ist politisch unzuverlässig". Nach einigen Fragen zu meiner Unzuverlässigkeit, erklärte mir der Colonel, ich sei entlassen. Ende Juni 1945 kam ich in Brühl an. Ich stand vor einem Scherbenhaufen. Ich lernte die Bedeutung des Sprichwortes "Jeder ist sich selbst der Nächste" kennen. Statt einem Schulbesuch - Gymnasium oder Höhere Handelsschule- musste ich mir Arbeit suchen. Durch die Hilfe des Stadoberinspektors Giefer, einem guten Freund meines Vaters, bekam ich eine Anstellung am 07.08.1945 bei der Stadt Brühl. Diese Tätigkeit wurde durch einen Krankenhausaufenthalt wegen einer akuten Typhuserkrankung (zugezogen in der Kriegsgefangenschaft) vom 29.08. bis 21.11. 1945 unterbrochen.

Anfang 1951 habe ich an der Verwaltungschule (heute Verwaltungsakademie) den Lehrgang II für den gehobenen Dienst etwa 10 Monate besucht. In dieser Zeit stellte ich fest, dass ich wegen Schwerhörigkeit, erlitten durch ein Knalltrauma im Krieg, dem Unterricht nicht folgen konnte. Meiner Bitte, den ganztägigen Kurs für ehemalige Wehrmachtsangehörige besuchen zu dürfen, wurde nicht entsprochen, weil Voraussetzung dafür war eine gesundheitliche Schädigung von 25%. Diese Anerkennung lag nicht vor.

Ich blieb bis zum 31.03.1960 bei der Stadt Brühl. Nach verschiedenen Stationen im öffentlichen Dienst schied ich am 31.Dezember 1988 wegen der Erreichung der Altersgrenze als Schwerbehinderter aus dem aktiven Dienst aus.

 

Der Bericht:

Nach meiner Entlassung aus Kriegsgefangenschaft habe ich versucht, die Ereignisse ab 1942 aufzuarbeiten. Während der Kriegszeit konnte ich weder über den Tod von Vater noch Mutter trauern.

 

Bereits am 31.01.1946 schrieb ich an den Rechtsanwalt Dr. Carl Becker IV, der meinen Vater vor dem Sondergericht vertreten hatte. Ich bat um Einsicht in seine Unterlagen zum Prozess. Der Anwalt teilte mir mit, dass alle Unterlagen verbrannt seien. Er hatte alle Gespräche stenografiert und auch den Gang der Verhandlung selbst wie seine Bemühungen um Gnade vor Ort in Berlin schriftlich fest gehalten. Er formuliert am 08.02. 1946 in der Rückschau: "Aufgrund der mündlichen Verhandlung war mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen- das war auch die Auffassung unbeteiligter Zuhörer. Wenn trotzdem das Urteil anders kam und wenn insbesondere auch das Gnadengesuch abgelehnt wurde, dann waren hierfür politische Gründe massgebend."

 

Von Herrn Becker erfahre ich auch den Namen des vorsitzenden Richters: Herr Landgerichtsdirektor Karl Eich

Download
RA Becker IV.pdf
Adobe Acrobat Dokument 2.9 MB

 

 

Bei meiner Einstellung bei der Stadt Brühl hatte ich geglaubt, von ehemaligen Arbeitskollegen meines Vaters mehr über den Prozess usw. erfahren zu können. Es war vergebens. Ich bin überall auf "Granit" gestoßen. Niemand wollte sich äußern. Jeder hatte eine Ausrede. Selbst die Herren des Stadtrats, darunter Hürten, Lauffs, Schmitter u.a. schwiegen.

 

Dann stellte ich an den Rat der Stadt den Antrag auf Umbettung der Leiche meines Vaters von Bonn nach Brühl. Nach einiger Zeit erhielt ich die Nachricht, dass an der angegebenen Stelle des Nordfriedhofs niemand beerdigt wurde. Man hatte weder einen Eintrag im Totenbuch noch bei der Grabung menschliche Überreste entdecken können.

 

Ich erinnere mich noch daran, dass Ende der 40er oder Anfang der 50er Jahre der damalige Beigeordnete der Stadt Brühl, Dr. Seibt, mich in sein Büro hat rufen lassen. Er stellte mir zwei Beauftragte der Militärregierung vor. Diese fragten mich, ob ich etwas über Herrn Wilhelm Pott, ehemals Beigeordneter der Stadt Brühl und später Bürgermeister der Stadt Wesseling, im Zusammenhang mit dem Prozess meines Vaters sagen könne. Leider weiß ich nicht mehr, was ich den Herren geantwortet habe. Man bedenke aber, dass Dr. Seibt, mein Dienstvorgesetzter, bei der Befragung anwesend war.

 

Später erfuhr ich, dass Wilhelm Pott zu dieser Zeit in einem Internierungslager für ehemalige Nazibonzen (Bad Neuenahr) war.

 

Im Jahre 1952 beschloss ich, nach Vallendar bei Koblenz zu fahren, um den ehemaligen Landgerichtsdirektor Eich wegen des Prozesses zu befragen. Auf die Möglichkeit einer Rehabilitation meines Vaters erwiderte er mir nur: "Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein!" Ich war erschüttert und machte mich auf den Heimweg. Ich dachte bei mir nur: Dieser Mann bleibt wohl für sein Leben lang ein unverbesserlicher Nazi!

Auf meine Anfrage vom 01.07.1952 teilte mir der Oberstaatsanwalt in Köln am 07.07.1952 folgendes mit:

Download
07.1952.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.2 MB

Die Militärregierung teilte über die Staatsanwaltschaft Köln am 12.08.1952 folgendes mit:

Download
08.1952.pdf
Adobe Acrobat Dokument 629.6 KB

Der Oberstaatsanwalt teilt dann am 18.09.1952 mit:

Download
09.1952.pdf
Adobe Acrobat Dokument 577.1 KB

Die Militärregierung ergänzte am 09.04.1953 ihre Mitteilung vom 12.08.1952:

Download
9.4.53.pdf
Adobe Acrobat Dokument 475.8 KB
Download
04.1953.pdf
Adobe Acrobat Dokument 828.7 KB

Auf meine Anfrage vom 08.04.1954 teilte mir die Oberstaatsanwaltschaft Köln am 13.04.1954 folgendes mit:

Download
04.1954.pdf
Adobe Acrobat Dokument 688.4 KB

Ich hatte schon damals das Gefühl gehabt, es müsse ein Geheimnis um den Prozess geben.

Auf meine Eingabe zur Rehabilitation meines Vaters teilt mir der Oberstaatsanwalt in Köln am 24.04.1954 folgendes mit:

Download
24.04.54.pdf
Adobe Acrobat Dokument 546.4 KB

Auf meine Eingabe im Januar 1958 erhielt ich im April 1958 folgende Antwort:

Download
04.1958.pdf
Adobe Acrobat Dokument 551.9 KB

Nachdem ich mit meinen Nachforschungen nicht weiter kam, musste ich diese vorerst zurückstellen. Es galt jetzt, eine neue Arbeitsstelle beim Bund zu finden, da ich bei der Stadt Brühl kein Fortkommen sah. So kam ich von der DFL, wo ich mich für 18 Monate mit dem Personalrecht des Öffentlichen Dienstes beschäftigte, zum DED (Deutscher Entwicklungsdienst). Weitere Stationen waren das Institut DATUM, die Heimkehrerstiftung und bis zur Pensionierung zum 31.12. 1988 die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft).

Auf dem Hintergrund einer Zeitungsnotiz im Generalanzeiger in Bonn vom 16./17.10. 1993 habe ich mich an das Oberlandesgericht Köln gewandt. Siehe das Antwortschreiben vom 27.04.1994

Download
Generalanzeiger 93.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.3 MB
Download
Staatsanwalt 4.94.pdf
Adobe Acrobat Dokument 7.1 MB

Unter dem 09.09.1994 erhielt ich vom Leiter der Justizvollzugsanstalt Köln auf meine diesbezügliche Anfrage folgende Antwort:

Download
Justizvollzug.pdf
Adobe Acrobat Dokument 522.9 KB

Vom Historischen Archiv/ NS- Dokumentationszentrum Köln im ELDE- Haus erhielt ich unter dem 10.11.1994 folgende Nachricht:

Download
ELDE.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.6 MB

Das Anatomische Institut der Universität in Bonn teilte mir unter dem 02.03.1995 folgendes mit:

Download
Anatomie Bonn.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.2 MB

Meine Petition an den Bundestag wird wie folgt beantwortet:

Download
Petition Bundestag.pdf
Adobe Acrobat Dokument 3.1 MB

Auf meine Bitte um Zahlung einer Entschädigung nach der sog. Härtefallregelung erhielt ich und meine noch lebenden Geschwister Leni und Willi 2004 je eine einmalige Kapitalzahlung von 2456,46€ , gewährt für NS- Opfer ohne Vorliegen einer Notlage. Mein entsprechender Antrag 1995 war noch abschlägig beschieden worden. Siehe das Schreiben der Oberfinanzdirektion Köln vom 21.11. 2002:

Dokument

Download
Bescheid Entsch.pdf
Adobe Acrobat Dokument 2.3 MB
Download
Oberfinanz 2003.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1.6 MB

 

"Das geht einfach nicht weg"- Ergänzungen aus gemeinsamen Gesprächen:

Was sich oben im Lebenslauf so nüchtern ausnimmt: "die briefliche Nachfrage meiner Tante Irma wird mit der Einberufung beantwortet" ist in Wirklichkeit die dritte Katastrophe für den jugendlichen Leo Weber. Als er diesen Brief seiner Tante um 1950 zu lesen bekommt, liest er ihn anders. Er liest, dass sie es ist, die dem Bürgermeister den Vorschlag unterbreitet, neben dem Sohn Johannes auch den noch nicht 16 jährigen Leo zum Militär einzuberufen. Hauptsache, er ist versorgt und aus den Füßen. Er liest ihn gar so, dass sie es ist, die ihn in den wahrscheinlichen Tod geschickt hat. Denn von seiner Kompanie von 125 Mann überleben nur 5 Kameraden. Er fühlt sich weggeschoben, ohne Unterstützung und ohne Schutz der nächsten Verwandten. Er kann ab da nie mehr Vertrauen in seine Tante finden. Dass der Einsatz von Leo an der Ostfront zu einem dramatischen Überlebenskampf wurde- das wird von der Tante nicht beabsichtigt worden sein. Er aber hat ihr allein - verständlicherweise - dafür die Verantwortung zugesprochen. Er sagt, dass Verhältnis zu seinem Onkel Leo, dem Ehemann seinerTante, sei dadurch nicht getrübt worden.

 

Wie der Sohn Leo an den Brief kam, ist eine eigene Geschichte. Sie sei kurz erzählt: Leo ließ sich, als er bei der Stadt Brühl beschäftigt war, von einem befreundeten Mitarbeiter aus dem Archiv, nachts in eben dieses einschließen, um alle möglichen Akten durchstöbern zu können- in der Hoffnung, endlich Aufklärung über die Verstrickungen seines Vaters zu bekommen. Er konnte der Zusicherung der städtischen Verwaltungsbeamten schlicht nicht vertrauen, dass nichts mehr an Unterlagen zur damaligen angeblichen Unterschlagung vorhanden sein sollte. Er stellt dabei fest, dass alle Akten verschwunden, selbst die Personalakte des Vaters. Jedenfalls konnte er sie nicht mehr ausfindig machen. Er stößt einzig auf diesen Brief, den seine Tante kurz nach dem Tod seiner Mutter 1944 an den ihm so verhassten Bürgermeister Peter Pick geschrieben hat.

 

Leo Weber arbeitet übrigens wie damals sein Vater beim Wohlfahrtsamt der Stadt Brühl. Sein Chef ist Dr. Josef Effertz- Chef auch seines Vaters. Er arbeitet sogar auf eigenen Wunsch am Schreibtisch im Büro seines Vaters. So sehr ist er gefangen in den Gedanken an dessen Schicksal. 1960 kündigt er, weil er es nicht mehr aushält, aber auch, weil die Stadt ihm keine Möglichkeiten des Aufstiegs anbietet. Er verlässt nicht nur die Arbeitsstelle bei der Stadt sondern auch Brühl, das ihm bis dahin Heimat und mehr war.

 

2006 schreibt er noch einmal wegen seines Vaters an den Bürgermeister der Stadt Brühl Kreuzberg, erhält aber keine Antwort.

 

 

Download
Kreuzberg.pdf
Adobe Acrobat Dokument 878.8 KB

Leo Weber findet von Anfang an, dass sich Geheimnisvolles mit dem Prozess um seinen Vater verbindet. Diese Ahnung wird im Laufe seines Lebens zur festen Überzeugung und ist heute stärker als je zuvor.



Leo Weber war damals gerade 14 Jahre alt, als sein Vater verhaftet und hingerichtet wurde. Wenn er erzählt, wird deutlich, wie wunderschön das Leben war bis zu diesem Zeitpunkt. Die Augen leuchten und werden klar, wenn er von Mutter und Vater spricht, als die Welt noch in Ordnung war. Er hängt noch heute - so scheint es mir - an seinem Vater wie nur ein jugendlicher Bewunderer an der Heldenfigur seiner Kindheit hängen kann. Wenn er davon erzählt, wirkt er jung wie 14 Jahre. Sein Vater war ihm Vorbild und Held und Respektperson und Schutz - jetzt sollte er plötzlich ein Schwerverbrecher sein, dessen er sich schämen oder den er gar hassen sollte? Dabei ahnte er selbst, dass der Vater Fehler gemacht haben könnte. Aber für welche Fehler verdient man die Todesstrafe? Leo Weber stockt bei fast jedem Satz, wenn er heute erzählt, wie seine Lebenswelt zerbrochen ist. Der Mord an seinem Vater hat ihn gezeichnet. 70 Jahre hat er darauf gewartet, endlich das Urteil gegen seinen Vater lesen zu können. Als er es in den Händen hält, sagt er nur, er müsse es erst einmal weglegen. Er könne jetzt nicht. Er braucht Zeit. Und er braucht Kraft.

 

Dies ist die Zusammenstellung einer Suche nach dem Vater, die mit der Verhaftung des Vaters beginnt. Für den Sohn Leo war die vorliegende Zusammenstellung der Fakten schon so bewegend, dass ihm das Lesen manchmal kaum leistbar erschien. Dabei hat er doch immer so sorgfältig darauf geachtet, seine inneren Gefühlsstürme zu zähmen. Der Terror der damaligen Zeit traf eben nicht nur Vater und Mutter, er wirkte weiter, nahm die Kinder in seinen Griff- er ist spürbar bis heute.

 

 

Der dramatisch gewaltvolle und unbegriffene frühe Verlust des Vaters wurde für den Sohn Leo zum Anlass für zwanghaftes Erinnern- Erinnerungs- und Spurensuche als Obsession. Etwas, das endgültig verloren war und ein Vakuum hinterlassen hat, das mit keinem Ersatz aufgefüllt werden konnte, wollte durch Erinnern eingefangen und durch Aufklärung beschworen werden. Aber alles Erinnern und alle Aufarbeitung blieb bruchstückhaft und verzerrt, weil dem Sohn die Fakten und Akten verborgen gehalten wurden- wieder und wieder seit 1945 bis zum Jahr 2016. So veweigert die Stadt Brühl 2015 erneut die Einsicht in die Personalakte des Vaters. Man erlaubt dem Sohn nicht, möglicherweise wissen zu können, wie es wirklich war. Schonung der Rechte sogenannter Dritter, die durch Einsicht in die Akte verletzt werden könnten, wiegt offensichtlich schwerer als die Rechte des Sohnes auf inneren Frieden mit der Aufarbeitung der Wahrheit und mit der Erinnerung an einen "realen" Vater. Unverständlich. Schonung und Genugtuung sind (nach nunmehr 73 Jahren) angezeigt- endlich auch für die Opfer.

 

 


Version dieser Seite 01/2017