Die Geschichte

Gabriel Weber an seinem Schreibtisch im Rathaus der Stadt Brühl im März 1941, hingerichtet am 20.August 1942. Foto privat

So unendlich viel gab es doch zu erzählen. Schweigen statt Erzählen. Der Ermordete des Lebens schon nicht wert. Sein Leben und sein Tod nicht einmal des Erzählens wert? Und die Nachgeborenen auch nicht wert, dass sie davon erfahren? Schweigen als Wertschätzung?

Die amtliche Bekanntmachung in Brühl auf blutrotem Plakat unmittelbar nach der Hinrichtung.

Am 20. August 1942 wurde der Brühler Bürger und Stadtobersekretär Gabriel Weber (geb. am 12.08.1893 in Weißenthurm) im Klingelpütz in Köln mit der Guillotine hingerichtet. Er wurde ermordet als "Volksschädling" wegen eines sogenannten Kriegs-wirtschaftsverbrechens, er wurde ermordet als Bauernopfer, er wurde ermordet, weil er das, was er getan hat, zum falschen Zeitpunkt, am falschen Ort, mit Wissen und dem ermunternden Einverständnis der falschen Leute getan hat: er hat als kommissa-rischer Leiter des Wirtschaftsamtes und als Abtei-lungsleiter Familienunterhalt der Stadt Brühl Le- bensmittelkarten zum Vorteil anderer und in gewis- sem Umfang auch seiner selbst hinterzogen.

 

Zur gleichen Zeit verurteilt wurden vom Son- dergericht Köln III seine Frau Anna Maria Weber (geb. am 26.09.1898) und andere Personen (die Metzgers- frau Josefine Reusch, Herr Fuchs vom Feinkostge- schäft Fuchs u. a.), die als Empfänger der Karten in die Hinterziehung verstrickt waren.

Anna Maria Weber, geb. Oellig als junge Frau. Foto privat

Seine Frau sollte die einjährige Gefängnisstrafe im April 1943 antreten. Die Strafe wurde wenige Tage vor Aufnahme in den Klingelpütz unter Bewäh-rungsauflagen ausgeschoben bis zum April 1946. Der Verteidiger Carl Becker IV hatte diesen Gnadenakt erreicht durch Verweis auf ihre angegriffene Gesund- heit und Verweis auf ihre vier Kinder, von denen drei noch minderjährig waren und die Älteste fast blind war. Eine Bestätigung der Stadt Brühl, dass sie keine Pflegstelle und keinen Heimplatz mehr für die Kinder frei habe, gehörte auch zu den eingereichten Unter-lagen.  Maria Weber verstarb allerdings bereits eineinhalb Jahre nach ihrem Mann am 14. Januar 1944 an einer Tumorerkrankung- an Dunkelheit und Gram, wie der Sohn Leo meint. Drei der vier Kinder waren danach weiter minderjährig, nun aber Vollwaisen und allein mit ihrer Not und mit ihrer Zukunft.

 

 

Die Kinder Leo, Leni und Willi stehen alleine am Grab der Mutter. Foto privat

So elend verloren... Die Älteste, Leni. Foto privat

Das jüngste Kind Willi, gerademal 12 Jahre alt, als der Vater ermordet wurde, glaubte fortan, der eigene Vater sei ein "Schwerverbrecher", wollte sich in seiner Verzweiflung über den Tod der Mutter von ihr bei der Aufbahrung im Krankenhaus nicht verabschieden und versprach ihr statt dessen, Priester zu werden. Das andere (Johannes) schob beiseite, was nicht verar-beitbar war- und wollte von dem Ganzen fortan nichts mehr wissen. Das Älteste (Leni), beim Tod der Mutter schon volljährig, trauerte still und fortwäh- rend. Das mittlere Kind Leo versuchte sein Leben lang, dem Schicksal seiner Eltern auf den Grund zu gehen und - immer wieder verzweifelnd - ihre Rehabilitation zu erkämpfen. Das Todesurteil prägte den Lebensweg jeden Kindes, ohne das sie je eine wirkliche Wahl hatten.

 

 

Die auf der anderen Seite hatten eine Wahl und nutzten ihre Möglichkeiten: sie wurden nach dem Krieg noch schneller schwarz oder gelb und manch- mal rot als sie vorher braun geworden waren. Sie wurden nie verurteilt. Nie verurteilt wurden die Herren aus der oberen Etage der Stadt Brühl (Wilhelm Pott als beamteter 1. Beigeordneter der Stadt Brühl und stellvertretender Ortsgruppenleiter, sein Nachfolger Josef Effertz  und Peter Pick als ihr Bürgermeister. Herr Pick war der erste National-sozialist im Rheinland überhaupt und bis 1941 Ortsgruppenleiter in Brühl, Herr Pott sein Stell-vertreter. Pick übernahm August 1941 nach einer Intrige gegen den langjährigen Bürgermeister von Brühl (1921 bis 1941) Freericks dessen Amt. Nach- folger des Wilhelm Pott wurde Dr. Josef Effertz. Effertz leitete später in den 50er Jahren das Fürsorgeamt der Stadt Brühl. 

Nie verurteilt wurden die Herren von der Spitze der Partei in Brühl wie der Ortsgruppenleiter Rösing (ab 1941) noch die von der Parteispitze im Rheinland wie Gauleiter Grohé, sein Stellvertreter Schaller und andere. Die meisten konnten nach einer kurzen Zwangspause (Entnazifizierung) ihre Karrieren z.B. bei der Stadt Brühl fortsetzen (beispielhaft Dr. Effertz).

 

 

Als die Amerikaner das Rheinland am 6. März 1945 befreiten, floh der Brühler Bürgermeister Pick bezeichnenderweise „unter Mitnahme von Akten und Lebensmittelkarten(!)“ und der gesamten Stadtkasse (pers. Mitteilung von Franz Karl Nieder, Historiker) aus der Stadt. Der Ortsgruppenleiter Rösing hatte sich bereits zwei Tage vorher abgesetzt.

 

Die städtischen Unterlagen zu der regional bedeut- samen Hinrichtung vom 20. Aug. 1942 scheinen bis 2016 allesamt verschwunden, möglicherweise ver- brannt oder aber sonstwie vernichtet. Selbst die städtische Personalakte des Gabriel Weber war seit Kriegsende unauffindbar. Intensive Suchanstrengun- gen wurden immer wieder zugesagt, blieben aber ohne Erfolg, bis 2015 die Personalakte im Akten- Keller des Personalamtes gefunden wurde.

 

Brühl kennt Gabriel Weber nicht- so scheint es Ende 2014.

 

Keiner von denen, die schließlich unmittelbar für das Todesurteil verantwortlich waren, keiner von denen, die konkret und aktiv für die Hinrichtung gesorgt haben, wurde nach dem Krieg zur Rechenschaft gezo- gen: weder die, die die Ermittlungen so einseitig führten, geschweige denn der Vorsitzende des Son- dergerichts I  Landgerichtsdirektor Eich, der Eifrigste im Verhängen von Todesurteilen unter den Kölner Richtern, noch der Landgerichtspräsident Walter Mül- ler, berüchtigt durch seine testierte mindere Quali-fikation und seine Versuche, die  Richterkollegen in Köln in Nach- und Vorbesprechungen zu mehr Todesurteilen anzuhalten. Gerichtlich bezeugt  ist sein Ausspruch während einer Richtervorbespre-chung: „Die Rübe muss herunter, die Rübe muss herunter, der Gauleiter erwartet es!“ und in einer anderen Besprechung: "Ich hoffe doch, dass bei dieser Sache mindestens 1/4 Dutzend Rüben heruntergehen". Verbrieft ist aber auch sein späterer Freispruch durch bundes- republikanische Richter- kollegen 1953 mit der abenteuerlichen Begründung, ein solcher Satz beinhalte doch nur eine Feststellung und keine Aufforderung, sei gewissermaßen ein "Diskussionsbeitrag" (Zitat aus der Urteilsbegründung des Bonner Landgerichts 1953). Auch sei nicht beweisbar, dass einer der angesprochenen Richter sich wegen der Worte des Vorgesetzten tatsächlich hätte zu härteren Strafen hinreißen lassen, Herr Müller sich also durch Anstiftung zur Tat strafrecht- lich schuldig gemacht habe. Diese Herren von der Justiz genossen fortan ihre hohen Pensionen von über 2.000,00 DM monatlich und erhielten sogar hor- rende Rückzahlungen (bis zu 160.000,00 DM für Justizministr Schlegelberger) für entgangene Beförderungen oder für Gehaltsaussetzungen kurz nach dem Krieg, wenn sie - als Parteimitglied und Protagonist eines Sondergerichts oder als kommissarischer Justizminister der Rechtsbeugung verdächtigt- nicht sofort im Staatsdienst wiederbeschäftigt worden waren.

 

Ach ja! Wegen Rechtsbeugung konnten die Kölner Richter ja nicht verurteilt werden, sie taten ja das, was rechtens war, und behaupteten sogar, sie hätten aus den schlimmen Gesetzen noch das Beste für den Angeklagten rausgeholt. Sie sprachen also recht, wenn sie vornehmlich an ihr eigenes Fortkommen dachten und Todesstrafen verhängten, waren die Vergehen noch so gering. Und sie taten sogar Gutes, indem sie selbst das Urteil sprachen und nicht "viel schlimmere" Parteigenossen.

 

 

Das Trauma der Hinrichtung des geliebten Vaters und die wirtschaftlichen Folgen des Ausfalls des Fami- lienernährers hatten allein die Kinder und - gewiss am Rande - die weiteren Angehörigen und Freunde zu tragen.

 

 

1994 endlich hat die Generalstaatsanwaltschaft Köln nach einer durch das NRW Justizministerium angeordneten Überprüfung aller Todesurteile das damalige Urteil in einem förmlichen Schreiben als zu Unrecht ergangen aufgehoben. Dabei stellte sich heraus, dass das Urteil bereits 1947 "stillschweigend" durch die Kölner Staatsanwaltschaft revidiert und aus dem Vorstrafenregister gelöscht worden war. Welcher Trost für den 1942 Hingerichteten: Er gilt ab 1947 für seine Zukunft immerhin als nicht vorbestraft, nur eben tot. Eine besondere Variante von feiger Verantwortungsflucht, die ein Zyniker nicht besser erfinden könnte. Man hat die Angehörigen nie darüber informiert, angeblich weil ihre Adresse unbekannt gewesen sei - trotz regen Schriftverkehrs mit ihnen schon 1945. Das Schreiben von 1994  tröstete die Kinder des Gabriel Weber nicht wirklich, aber war doch eine wichtige Genugtuung jetzt, wo das eigene Leben sich dem Ende zuneigte.

2002 gab es gar eine Entschädigung der Kinder für das erlittene staatliche Unrecht nach der sog. Härte-fallregelung in Höhe von ca. 2.500,00 € für jedes noch lebende Kind. Ach ja!

Im Februar 2015 konnte im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf endlich eine beglaubigte Abschrift des Todesurteils und das Originalurteil für Maria Weber gefunden werden. Die Urteilsschriften tragen zur Klärung vieler Fragen bei und warfen neue Fragen auf.

 

Ergänzung: 2015 wird die vollständige Personalakte des Gabriel Weber im Keller des Personalamts gut und vielleicht nur zufällig aufbewahrt, wiederge-funden. Sie enthält überraschenderweise sämtliche Ermittlungsprotokolle zu diesem Fall. Fein säuberlich abgeheftet auch die Presseberichte und das blutrote Hinrichtungssplakat. Genauso überraschend, dass sich die Prüfung auf Akteneinsicht noch einmal ein ganzes Jahr hinzieht. Jetzt aber wird  sie am 25.04.2016 ermöglicht, nachdem der Datenschutz für eine Zeugin abgelaufen ist. Schon auch ein Rechtsverständnis, das Befremden auslöst: das Opfer (hier stellvertretend für den hingerichteten Vater der Sohn Leo) erhält 73 lange Jahre keine Einsicht in sei- ne bzw. seines Vaters Unterlagen zu einem offiziell so festgestellten "Unrechtsurteil", weil Zeugen, die 1942 ausgesagt haben, noch 2015 geschützt werden (Datenschutz) müssen.

"Und doch ist keiner dieser Blutrichter und anklä- ger rechts- kräftig von der bundes-deutschen Justiz ver- urteilt wor- den, kein einziger ... Es ist ... die Geschichte eines per- fekten Mor- des "

(Ralph Giordano, Der Perfekte Mord. Die deutsche Justiz und die NS- Vergangenheit



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Lebenslauf Gabriel Weber
Handgeschriebener Lebenslauf des jungen Gabriel Weber anlässlich seiner Bewerbung bei der Stadt Brühl 1920- aus der Personalakte bei der Stadt Brühl
Lebenslauf Gabriel Weber.pdf
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