Ohne Gnade

SCHMIDT fasst die Begnadigungspraxis so zusammen: "Die Begnadigung ist ein Gnadenerweis im Einzelfall im Unterschied zur Amnestie (Amnestie: durch Gesetz Straffreiheit gewähren, W.P.)und der Abolition (Abolition: Niederschlagung eines Strafverfahrens vor Urteilserlaß. § 4, Abs. 1 der Gnadenordnung vom 6. Februar 1935. s. S. 79ff.W.P.). Die eindeutige gesetzliche Zuständigkeit besaß die Staats­anwaltschaft als Gnadenbehörde, die ebenso verantwortlich zeichnete für die Verwaltung der Strafanstalten und den Vollzug in ihrem Bezirk."  Das Gnadenrecht stand in allen Verfahren dem Minister zu, außer bei Verurteilungen zum Tode, Verurteilungen wegen Hoch- und Landesverrats und für die Abolition. Hier stand das Gnadenrecht dem "Füh­rer" zu.

 

"In den ersten Jahren des NS-Regimes lag das Begnadigungsrecht noch bei den von Hitler einge­setzten Reichsstatthaltern in den einzelnen Ländern. Im Februar 1935 reklamiert Hitler das Begnadigungsrecht ausschließlich für sich selbst. Justizbeamte des zuständigen Gerichts hat­ten nunmehr als Gnadenausschuß zu fungieren und Hitler über das Reichsjustizministerium ihre Empfehlung zukommen zu lassen." (Schmidt) Der Führer entschied dann, ob er vom Gnadenrecht Gebrauch machte oder nicht. Er legte Wert darauf, dass dies in einem eigenen Bescheid auch öffentlich wurde. Mit der Zunahme der Nichtbegnadigungen wurde ab 1940 die Erwähnung,„daß der Führer und Reichskanzler von dem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat“  untersagt, um das Bild Hitlers in der Öffentlichkeit nicht zu schädigen.

 

"Anfang 1942 wird die Aufhebung von Justizurteilen schließlich dem Reichsjustizminister übertragen. Auch alle an Hitler persönlich gerichteten Gnadengesuche werden nunmehr dem Ministe­rium zugeleitet und dort zur Entscheidung gestellt.

 

Bei der hartherzigen Gnadenpraxis der NS-Juristen wurden fast sämtliche Todesurteile vollstreckt. Die Vollstreckung der Todesstrafe entartete zu einer fast unzeremoniellen Tötung am Fließband. Wenige der Verurteilten konnten damit rechnen, daß mit dem Todesurteil nicht das letzte Wort gesprochen worden war und daß der Verurteilte vielleicht das unerhörte Glück haben würde, der Hinrichtung zu entgehen." (Schmidt ebd.)

 

Nach neueren Schätzungen betrug die Gnadenquote bei Todesurteilen 1943 reichsweit lediglich 2,7%. (LÖFFELSENDER 2012, S. 410) Vollstreckt wurde ein Todesurteil erst dann, wenn vom Gnadenrecht kein Gebrauch gemacht wurde.

 

 

"Von den Verteidigern wurden, so geht aus den Akten hervor, für die Einbringung von Gnadenanträgen manchmal horrende Summen verlangt, die von den Verurteilten oder deren Angehörigen nicht aufgebracht werden konnten." (SCHMIDT 2008)

 

Für eine mögliche Begnadigung schien es geboten, möglichst viele Leumundszeugnisse von verdienten Bürgern und Parteimitgliedern vorzulegen. Der Familie Weber war es 1942 während der Haftzeit des Vaters nach Auskunft des Sohnes Leo möglich, mindestens 200 Leumundszeugnisse beizubringen. Eine erstaunliche Zahl. Erstaunlich auch, dass so viele den Mut zu einem solchen Zeugnis gefunden hatten und wohl auch bereit waren, dafür eventuell persönliche Nachteile oder Nachforschungen in Kauf zu nehmen. Erstaunlich ebenso, dass die Leumundszeugnisse das Sondergericht, die Staatsanwaltschaft und den "Gnadenherrn" in Berlin gar nicht beeindruckten.

 

Von der Begnadigung zu unterscheiden ist der Wiederaufnahmeantrag, wenn der Angeklagte völlig neue Gesichtspunkte oder Fakten vorbringen konnte. Da in der Regel eine umfangreiche Beweisauf­nahme vor dem Sondergericht stattfand, führte dies dazu, daß ein Verteidiger aber kaum noch Möglichkeiten hatte, neue Aspekte des Falles zu erläutern, so daß das Mittel der Wiederauf­nahme des Verfahrens selten eine Erfolgsaussicht bot. Gabriel Weber hat wahrscheinlich versucht, aus der Haft heraus, der Familie bzw. dem Anwalt neue Fakten zuzuspielen. Seine Briefe aus der Haftanstalt waren jedoch streng zensiert und vielfach waren entsprechende verdächtige Stellen geschwärzt. Mit der Ehefrau Maria war während der Haftzeit nur ein einziges kurzes Gespräch erlaubt worden. Ermittlungsunterlagen oder Anklageschrift standen dem Angeklagten nicht zur Verfügung. Ob der Anwalt sogar einen solchen Wiederaufnahmeantrag gestellt hat, ist unbekannt. Jedenfalls ist er, wenn, dann offensichtlich abgelehnt worden. Für das Sondergericht Köln ist übrigens nicht ein einziger Wiederaufnahmeantrag positiv beschieden worden. Die Entscheidung dafür lag beim Präsidenten, hier Müller.

 

 

Die Gnadenpraxis war für den Angeklagten immer eine Hoffnung zu überleben. Ob sie ihm Mitte 1942 das Leben gerettet hätte, ist schwer zu sagen. Zum Tode Verurteilte wurden, wenn, dann in der Regel auf 8 Jahre Zuchthaus, manchmal auch 5 Jahre Zuchthaus begnadigt. Ab 1942 wurden Zuchthausstrafen in dieser Höhe zur Refinanzierung der Kriegsausgaben ausschließlich in speziellen Konzentrationlagern abgeleistet. Einer Vereinbarung zufolge, die zwischen dem Reichsjustizminister Thierack und dem Reichsführer SS Himmler vom 18. September 1942 getroffen worden war, sollten alle „asozi­alen Elemente“ der Polizei ausgeliefert und in Konzentrationslager überstellt werden. Im Punkt 2 dieser Vereinbarung heißt es dann: „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvoll­zug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Siche­rungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsjustizministers. Zunächst sollen die übelsten asozialen Elemente unter letzteren ausgeliefert werden. Hierzu werde ich den Führer durch Reichsleiter Bormann unterrichten.“  Die "8 Jahre" aus der Vereinbarung wurden bald schon auf 5 Jahre reduziert. Es kann  nur auf den ersten Blick verwundern, dass eine Begnadigung immer zu einer scheinbar deutlich heruntergesetzten Zeitstrafe führte: man rechnete auf Seiten der zuständigen Ministerien schlicht nicht mit einem Überleben in diesen Todeslagern.

 

Die Todesstiege im KZ Mauthausen 1942, Steineschleppen im Programm "Vernichtung durch Arbeit". Foto der SS

Die Gnadengesuche folgten in der Regel- so LÖFFELSENDER - vorgeprägten Darstellungsstrategien. Reueformel, Besserungsversprechen und Gnadenbitte bildeten ihre konstitutiven Elemente (2012, S. 405)

Amtierender Justizminister ist Staatssekretär Dr. Franz Schlegelberger (seit 1941), der die entsprechenden Gnadenersuche in aller Rechtschaffenheit ablehnt, weil er "der Gerechtigkeit ihren Lauf lassen will".

 

 

 

Herr Dr. Schlegelberger erhält 1952 auf Betreiben der damaligen Bundesregierung Adenauer eine Rückzahlung von 160.000,00 DM für das nach dem Krieg wegen der amerikanischen Inhaftierung entgangene Gehalt.

Recherchen im Bundesarchiv in Berlin (dort die Akten des Reichsjustizministeriums) ergeben am 06.05.2015, dass die Abschriften der sog. Gnadenakte vernichtet sind.

 

 

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