Hypothesen zum Fall Weber

Hypothese 1 (in der Familie der Schwester von Maria Weber, Familie Ponsens 1960 bis 2014 )

Gabriel Weber ist einer Intrige zum Opfer gefallen oder einer fanatischen Justiz, die kleine Vergehen mit dem Tode bestraft. "So war das in der schlimmen Zeit." Er hat an kleine Leute und jüdische Mitbürger allen familiären Warnungen zum Trotz Lebensmittelkarten abgegeben und dafür bitter bezahlt. Gabriel Weber war bekannt für seinen Leichtsinn und seine Lebensfreude. So fromm, wie es immer hieß, war er womöglich gar nicht. An der Rechtskraft und an einer zumindest eingeschränkten Rechtmäßigkeit einer Verurteilung gab es keine Zweifel. Zweifel gab es allerdings an der Höhe der Strafe. Die Höhe der Strafe unterstrich aber zugleich die mögliche Schwere des Vergehens. Niemand aber erhielt das Urteil zur Kenntnisnahme, nicht einmal die Ehefrau. Der Satz "So war das eben in dieser Zeit" ließ nach dem Krieg den Gedanken gar nicht aufkommen, dass bitteres Unrecht geschehen, dass auch Richter zur Rechenschaft gezogen werden könnten- von dieser Seite gab es wohl nicht einmal ein Bemühen um das Wenigste: Revision des Urteils und Rehabilation von Maria und Gabriel Weber.

HYpothese  2 (Untersuchung zur Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich durch T. Roth 2008)

Gabriel Weber hat als Beamter mit anderen städtischen Angestellten in Brühl und Köln in beträchtlichem Umfang Lebensmittelkarten im Wert von mehreren 10.000,00 RM unterschlagen. Dafür ist er mit dem Tod bestraft worden (These in Anlehnung an die Bemerkung von Thomas ROTH: "Meist waren die Delikte (gemeint sind Kriegswirtschaftsdelikte, W.P.) von geringfügigerem Umfang, gelegentlich weiteten sie sich aber auch zu größeren Tatkomplexen aus. So schafften Angestellte der Kölner und Brühler Stadtverwaltung durch die Hinterziehung, Verfälschung oder Umwidmung von Bezugsscheinen oder Vergütungsschecks Papiere im Wert von mehreren 10.000,00 RM beiseite." (S. 559)


Dass Gabriel Weber einer der führenden Leute sein könnte in einem größeren Korruptionsskandal innerhalb der Stadtverwaltungen von Köln und Brühl und zumindest dem damaligem Kriegswirtschaftsrecht entsprechend "rechtens" verurteilt wurde- diese These wurde auch dann weiter verfolgt, als sie schon allen vorliegenden "offiziellen" Informationen und besonders allem widersprach, was von denen berichtet wird, die ihn persönlich im Alltag kannten.


Hypothese 3 (Der Sohn Leo Weber 1945 bis 2015 )

Der geliebte Vater wurde in seiner Hilfsbereitschaft ausgenutzt und hat im Auftrag seiner unmittelbaren Vorgesetzten für die Parteispitze in der Gemeinde Brühl und evtl. sogar für die Parteispitze im Rheinland Lebensmittelkarten beiseite geschafft. Als es ruchbar wurde, musste er als Bauernopfer herhalten und selbst als Tatzeuge beseitigt werden. Anders ist das Verfahren und das auch für die damalige Zeit extreme Urteil, das schließliche Verschwinden aller Unterlagen und vor allem das Schweigen der Stadt Brühl nicht zu verstehen. Hinter dem Urteil stand mehr als nur die Verfehlung des Vaters. Möglicherweise sollte auch ein anderer Täter, der in der Hierarchie der Stadt ganz oben stand, geschützt werden und man bediente sich für die öffentliche Strafverfolgung eines Untergebenen, von dem man wusste, dass der selbst nicht ohne Schuld war.

 

 Zu den Geheimnissen gehört, dass der Sohn Leo  1941  im Auftrag des Vaters einmal im Monat in Köln auf dem Hohenstaufenring im Schreibmaschinengeschäft Schorn einen Briefumschlag für einen jüdischen Schweizer Diplomaten namens Braun abgeben muss. Nach der Verurteilung seines Vaters vermutet Leo Weber, dass in diesen Briefumschlägen Lebensmittelkarten lagen. Die Lebensmittelkarten dienen wohl der Versorgung von jüdischen Mitbürgern, die in die Schweiz emigrieren wollen. Lebensmittelkarten für jüdische Mitbürger fallen, was die Bezugsmengen angeht, erheblich kleiner aus als die für den "Normal"bürger. Die jüdischen Mitbürger sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht deportiert, sie leben aber schon zum Teil zusammengezogen (in Vorbereitung der schließlich stattfindenden Deportation in die Konzentrationslager) in sog. Judenhäusern. Eines dieser Häuser befindet sich auf dem Hohenstaufenring 53. Das Generalkonsulat der Schweiz  kann übrigens - beständig auch in seinem Personal - den ganzen Krieg über in Köln ohne große Probleme seine Arbeit machen.

 

Um den Prozess gibt es zuviel Geheimnisvolles: weil der Urteilstext nicht greifbar ist, liegt der Hintergrund für die Verurteilung im Dunkeln und man ist auf Vermutungen angewiesen. Und eine Vermutung setzt die nächste in Gang. Ein Rad der Geheimnisse, aus dem man schlichtweg nicht aussteigen kann. Geheimnisvoll bleiben die Hintergründe der Tat, wenn man davon ausgeht, dass Gabriel Weber sich nicht wirklich selbst bereichert hat (nichts weist auf das Gegenteil hin), geheimnisvoll bleibt die überraschende Härte des Urteils, geheimnisvoll bleibt das eiserne Schweigen aller Beteiligten, geheimnisvoll bleibt das vollständige Verschwinden der Gerichtsakten zum Prozess sowohl in Köln als auch das Verschwinden aller Unterlagen zu Gabriel Weber in Brühl, geheimnisvoll bleibt das Verweigern der Einsichtnahme in möglicherweise doch vorhandene Akten, geheimnisvoll bleibt das Agieren der Justiz nach dem Krieg, die offensichtlich die erste Gelegenheit genutzt hat, das Urteil für nichtig zu erklären und über die Löschung im Strafregister als nicht vollzogen erscheinen zu lassen- ohne aber inneramtlich diesen Vorgang zu kommunizieren oder die Angehörigen entsprechend zu informieren, wiewohl es einen regen Schriftverkehr von Leo Weber mit der Staatsanwaltschaft gibt, Adressen also bekannt sind.

 

 

 

Gabriel Weber (3. von links, stehend) im Kreis seiner Kollegen

 

Plausibel scheint dem Sohn Leo lange Zeit in etwa folgende Geschichte: Sein Vater sitzt als leitender Beamter sozusagen im Zentrum der Möglichkeiten, Lebensmittelkarten leicht beiseite zu schaffen. Schon unter Bürgermeister Freericks (NSDAP, vorher Zentrum) bekommt Gabriel Weber den offiziellen inoffiziellen Auftrag, Lebensmittelkarten für Partei- und Stadtspitze abzuzweigen. Dieser Auftrag wird aufrechterhalten und genutzt auch dann noch, als der Bürgermeister Freericks am 18.04.1941 durch eine Parteiintrige demissioniert, vom Beigeordneten Pott vertreten und schließlich vom ehemaligen Ortsgruppenleiter Peter Pick abgelöst wird (offizielles Ausscheiden von Freericks am 30.07.1941). Gabriel Weber ist von oben "beauftragt" und vertraut darauf, dass er unter dem Schutz derer "da oben" steht, besonders unter dem Schutz seines früheren direkten Vorgesetzten Pott. Er kann gar nicht anders denken, als dass er auch unter dem Schutz des neuen direkten Vorgesetzten, des jungen aufstrebenden Dr. Josef Effertz als Nachfolger von Wilhelm Pott steht.

Hypothese 4 (Der neffe Winfried während der Ersten Recherchen vom Oktober 2014 bis Dezember 2014)

Nach den ersten Recherchen und dem ersten Literaturstudium drängt sich eine Hypothese oder ein Erzählstrang auf, der beide ersten Thesen zusammen fügt: Gabriel Weber hat Lebensmittelkarten unterschlagen, obwohl es in der Familie warnende Stimmen gab. Er hat die Karten nur in geringem Umfang für sich selbst genutzt. Seine Stellung und seine Gutmütigkeit sind benutzt worden in einem größeren Zusammenhang von Korruption, den er nicht durchschaut hat. Er ist als Bauernopfer hingerichtet worden.

 

Etwas ausführlicher und in Kenntnis der Person Gabriel könnte die Geschichte so erzählt werden:

Gabriel Weber ist aus einfachen Verhältnissen zum kleinen Beamten in der Kleinstadt Brühl aufgestiegen. Er macht seine Arbeit gut und gewinnt über sein Engagement in der katholischen Gemeinde St. Margareta Ansehen in seinem Umfeld. Er wird unter Bürgermeister Freericks zum Abteilungsleiter im Wohlfahrtsamt in Brühl. Er ist organisatorisch recht geschickt und wird deshalb vom Bürgermeister Freericks über den 1. Beigeordneten Pott mit dem Aufbau der Wirtschaftstelle in Brühl beauftragt. Dort legt er für seine Vorgesetzten oder für wichtige Institutionen (wie z.B. der Ratskeller)  Lebensmittelkarten in großem Stil beiseite.

 

 

Gabriel Weber ist über Pott und Pick evtl. sogar konkret in die Schaller/Grohé- Affäre verwickelt. Das erscheint jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen, ist Gabriel Weber doch Abteilungsleiter im Wohlfahrtsamt der Stadt Brühl. Die Wohlfahrtsämter sind  spätestens seit Kriegsbeginn personell und inhaltlich aufs engste mit der NSV (Leiter NSV ist Herr Schaller) verknüpft, in weiten Teilen mit ihr identisch, reichsweit ein Hort der staatlich gelenkten und der persönlichen Korruption. Der Warenstrom im Kölner Skandal ist so gigantisch, dass es nicht unwahrscheinlich erscheint, dass man zur Verdeckung der Warenströme auch auf Wohlfahrtsämter und ihre Manipulationen außerhalb von Köln setzen muss. Der von Gabriel Weber oft wiederholte Satz "Wenn Pott die Wahrheit sagt, kann mir nichts passieren" hat substantielle politische Brisanz.

 

Wenn es nicht diese bekannte Korruptionsaffäre ist, in die Gabriel Weber wissentlich oder ahnungslos verwickelt ist, dann mit großer Wahrscheinlichkeit doch eine andere, möglicherweise kleinräumigere. Nur so bekommt die Gewissheit des Gabriel Weber, frei gesprochen zu werden (zu Beginn des Verfahrens geht es noch nicht um Leben oder Tod), einen Sinn.

 

Gabriel Weber hat in seiner Naivität nicht bemerkt, dass sein Leitbild, der Bürgermeister Freericks, nicht aus gesundheitlichen Gründen sondern wegen einer parteiinternen Intrige (Pott und Pick) aus dem Amt gejagt wurde. Pott wird kurzfristig kommissarischer Bürgermeister, das Rennen macht aber schließlich im Juli 1941 sein Konkurrent um den Bürgermeisterposten in Brühl Peter Pick, der Ortsgruppenleiter der NSDAP.  Wilhelm Pott wird Bürgermeister des benachbarten Wesseling, Dr. Josef Effertz sein Nachfolger als 1. Beigeordneter.

 

Bürgermeister Rudolf Freericks (1921- 1941)

Bürgermeister Peter Pick (1941- 1945)

Peter Pick beim Aufmarsch der Partei- Gockel

Peter Pick, geb. am 20. Juli 1897 in Köln. Nach der Volksschule Kaufmann, 1914 Kriegsfreiwilliger, 1917 schwer verwundet. Anschließend Bankbeamter in Brühl, dann Angestellter bei der AOK in Brühl und ab 1.Mai 1934 Bürgermeister von Wesseling. NSDAP- Parteintritt am 7. August 1925 unter der Nr. 13496. Ortsgruppenleiter in Brühl ab 1933, ab 1937 Propagandaleiter der Kreisleitung. (vgl. THRAMS 1993 S. 84ff)

Aber Bürgermeister wird man nicht, wenn man nicht repräsentiert und Hof hält, erst recht nicht, wenn man seine Freunde nicht großzügig bedenken kann. In der Zeit der Warenzwangsbewirtschaftung geht das alles nur über den Schwarzen Markt. Am besten gelingt das, wenn man sich mit Lebensmittelkarten beim "Organisieren"  wo auch immer einen halb- legalen Anstrich gibt. Lebensmittelkarten sind längst offiziöses Zahlungsmittel geworden und dienen der "Geldwäsche".

 

Gabriel Weber sitzt an der richtigen Stelle, kann froh sein, dass er dort noch sitzt, obwohl er sich durch Krankschreibung nach sechs Wochen seinem Osteinsatz in Bromberg (Beginn 01.06.1940) verweigert hat und obwohl doch in der Küche seiner Wohnung nicht das Hitlerbild sondern weiterhin ein Kreuz über dem Küchentisch hängt (von Herrn Pick tatsächlich negativ angemerkt). Gabriel Weber ist erst spät, 1937, auf äußeren Druck hin und sozusagen auf den letzten Drücker in die Partei eingetreten, weil ohne Parteieintritt sah er keine Chance für sich bei der Stadt. Früher war er Mitglied im Zentrum wie die meisten in Brühl und: katholisch ist er eben geblieben.

 

Wer könnte geeigneter sein, um den Herren Pick und Pott und anderen einen Lebensstil zu ermöglichen, wie ihn die Ortsgruppenleiter und Gauleiter im nahen Köln pflegen und gerne auch vorzeigen? Wer könnte geeigneter sein als Gabriel Weber, der "fromme Gabriel Weber", der gute Mensch aus der Mühlenstraße? Der ist gut unter Druck zu setzen, der ist von vornehmer Zurückhaltung, der ist immer hilfsbereit, der weiß, wie es geht und will auf der anderen Seite nicht wissen und sehen, dass er ausgenutzt wird.

 

 


Version dieser Seite: 1/2017