Hinrichtung

Zeichnung privat Guillotine Klingelpütz


Hinrichtung als Verwaltungsvorgang

 

 

SCHMIDT analysiert: "Der Vollzug der Todesstrafe gehört zu den düstersten Kapiteln der deutschen Rechtsge­schichte. In einer Interessengemeinschaft zwischen Staatsanwalt und Scharfrichter war dieser Vollzug zwischen 1933 und 1943 verwaltungsmäßig exakt durchgearbeitet und detailliert geregelt. Die Justizverwaltung behandelte den Vollzug mit ganz besonderer Akribie, weshalb es heute durch die teils umfangreiche Aktenlage möglich ist, zahlreiche Details genau zu bele­gen.

 

„Korrekt“ bis in den Tod wird die Vollstreckung der Todesstrafe als Verwaltungsvorgang betrachtet. So müssen die Angehörigen der Hingerichteten die anfallenden Kosten dem Staat entrichten. ...

Die Kosten werden aus dem sichergestellten Nachlaß des Verurteilten einbehalten." (SCHMIDT 2008, S. 34 ff.)

 

 

Derartige Kostenrechnungen werden den Hinterbliebenen zugestellt:

 

Nachrecherchierte analoge

 

"Kostenrechnung der Geschäftsstelle Abt. 22 der Staatsanwaltschaft in der Strafsache Weber:

 

1. Geb. für die Todesstrafe, nach § 52 GKG ...........................300.00 RM 

2. Haftkosten vom 18.3.1942-20.8.1942

    =  155Tage a 1.50.00 RM:................................................   232.50RM

3. Gebühren der Hinrichtung: ...............................................125.00 RM

3a. Gefängniskosten:...............................................................52.00 RM

4. Anstaltsgebühren:  .............................................................14.40 RM

5. Textfeld:                                                                             = 723.00RM

Gebühren des Verteidigers: ....................................................51.00 RM"

 

 

Zu den Hinrichtungskosten: Aus dem Nachlass des verurteilten Gabriel Weber gab es offensichtlich nichts sicher zu stellen, so dass sein bester Freund, Johannes Wichterich, die oben aufgeführten Kosten, die wegen der langen Haftdauer sehr hoch ausfielen, übernahm.

 

 

Ergänzungen und zusätzliche Dokumente:

Johannes Wichterich und seine Frau (Mitte) bei der Primiz des Sohnes Willi Weber (Foto privat)

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Verwaltungsvorschriften Hinrichtung
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Richtlinien für den Vollzug der Todesstrafe und die Vergütung der Scharfrichter

 

SCHMIDT berichtet: "1942, dem Jahr, in dem die NS-Tötungsmaschinerie auf Hochtouren läuft, wo an manchen Tagen in Deutschland mehr als zehn Todesurteile an einem Tag zu vollziehen waren, werden für die Aufwendungen der Aufsichtsbeamten Richtlinien erlassen: „Die Beamten, die in der Nacht vor der Hinrichtung mit der Beaufsichtigung der Verurteilten und den Vorbereitungen der Vollstreckungen betraut sind, erhalten auf ihren Wunsch Nahrungs- und Genußmittel aus dem Bestand des Anstaltsvorstandes im Wert von höchstens 3 RM. Jeweils sollen auch einige Zigaretten verabfolgt werden. 200 Zigaretten werden dafür monatlich zur Verfügung gestellt."

...

 

Am 18. August 1942 bestimmt der Reichsjustizminister im Namen Freislers:

„1.) Für die Vollstreckungsbezirke Breslau, Kattowitz, Königsberg und Posen habe ich einen weiteren Scharfrichter mit dem Wohnsitz in Posen bestellt... 2.) § 8 der Richtlinien für Scharf­richter (Anlage 1 zur RV. vom 19.2.1939) wird dahingeändert: ,Der Scharfrichter erhält eine Sondervergütung von 10 RM, jeder seiner Gehilfen eine solche von 8 RM für jeden Tag, um den sich ihr Aufenthalt an einem auswärtigen Vollstreckungsort aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, verlängert. Dasselbe gilt, wenn sie sich schon an den auswärtigen Vollstreckungsort begeben haben, der Vollstreckungsauftrag aber zurückgenommen wird. ’ 3.) In § 9 (in der Fassung der RV. vom 21.5.1942) erhält der Abs. 4 folgenden Zusatz: Steuerfrei bleibt auch die Sondervergütung nach § 8." (SCHMIDT 2008, S. 39ff.)

 

Die Einkommen der Scharfrichter waren durch die bestürzende Anzahl der Todesurteile innerhalb kurzer Zeit so angestiegen, daß allein Johann Reichhart im Jahre 1943 neben sei­nem jährlichen Grundeinkommen von ca. 3.000,00 RM noch zusätzlich über 40. 000,00 RM Sonderzahlungen verfü­gen konnte. Und die Justizbeamten hatten trotz erster bitterer Niederlagen Zeit, Erlass für Erlass zu dekretieren.

 

Auch das sei festgehalten: die Hinrichtung des Gabriel Weber am 20. August 1942 war durch einen kurzfristigen Erlass des Justizministers vom 18. August 1942 für den Henker nun sogar steuerfrei.

 

 

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Vergütungswirrwar bei den Scharfrichtern
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Der Scharfrichter Friedrich Hehr

 

 

"Friedrich Hehr (geb. 21. September 1879, gest. 1952), Tagelöhner. Seit August 1937 wohn­haft in Hannover, Deisterstraße 24, später Eichenplan 14. Hehr ist mit größter Wahrscheinlichkeit der für den Tod von Gabriel Weber verantwortliche Scharfrichter- soweit das aus den "Terminplänen" geschlossen werden kann.

 

Hehr, der bis 1937 in Stuttgart seinen Dienst getan hatte, werden ab 1937 die in den Vollzugsanstalten Butzbach, Hamburg-Stadt, Hannover und Köln anfallenden Vollstreckun­gen übertragen. Er muß seine Wohnung in Hannover nehmen, da dort „seine Tätigkeit besser geheimgehalten werden kann “ Die Umzugsauslagen werden ersetzt. Seine feste Jahresvergü­tung beträgt 3.000,00 RM.

 

Hehr wird 1937 der dritte und auch wichtigste Scharfrichter in Deutschland. Wichtig, weil er und seine Gehilfen nahezu eine Scharfrichterschule werden. Mehrere seiner Gehilfen werden in den kommenden Jahren zu Scharfrichtern bestellt.

 

Hehr übernachtete auf seinen Anreisen aus Hannover oder aus anderen Hinrichtungsstätten mit seinen Todesgesellen in einem Hotel in der Eintrachtstraße in unmittelbarer Nähe zum Gefängnis. Bei der Hinrichtung trugen er und seine Mitarbeiter eine schwarze Hose, kurze schwarze Jacke, weiße Krawatte und weiße Handschuhe und wirkten so wie eine groteske Zirkusgruppe.

 

"Klotzig, unansprechbar und ständig knurrig. Nur einmal ließ er sich auf ein kurzes Gespräch ein. Über die Abscheu der Mitmenschen gegenüber dem Henker machte er sich keine Illusionen, das hat er mir zugegeben. Hehr war kein,gelernter Henker', der ein großes schweres Beil mit beson­ders breiter Schneide anwenden konnte“, so erinnert sich der evangelische Anstaltspfarrer Dr. Kühler vom Kölner Gefängnis."

 

 Zusatztexte und zusätzliche Dokumente:

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Scharfrichter Hehr
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Die Guillotine

 

 

Zitat SCHMIDT: "Guillotine (gijotin), seit 1792 das Hinrichtungsgerät der Französischen Revolution. König Ludwig XVI., dem diese im selben Jahr vorgeführt wurde, fand sie so gut, daß er sie in Frank­reich einführte - um neun Monate später durch dieses Gerät selbst zu sterben. Anfangs wurde diese Köpfmaschine nach dem Erfinder - dem Arzt Louis (1723-1792) - Louisette oder Petite Louison genannt, später Guillotine nach dem Arzt Dr. Joseph Ignaz Guillotine (1738-1814). Dem der Aufklärung Nahestehenden ging es darum, alle Verurteilten, unab­hängig von Stand und Rang, derselben Hinrichtungsart zu unterwerfen. Gleichheit vor dem Gesetz war sein Prinzip. Ihm war auch daran gelegen, grausame und entehrende Hinrich­tungsarten abzuschaffen.

 

Mit dem französischen Strafrecht wird die Guillotine als Fallbeil auch in den deutschen Län­dern links der Elbe eingeführt, die in der Zeit der Napoleonischen Herrschaft von diesem besetzt waren. Ab diesem Zeitraum kam sie bis zur Einführung des neuen Grundgesetzes im Jahre 1949 im Westen Deutschlands zum Einsatz.

 

In Deutschland waren neben „Guillotine“ die Bezeichnungen Fallschwertmaschine und Fallbeil üblich. Unter den NS-Machthabern war man sehr darauf bedacht, nicht die französi­sche Bezeichnung zu verwenden, da dies eine negative Assoziation zum Nationalfeind Frank­reich herstellte und das Fallbeil eben nicht in der französischen Revolution erfunden worden war. In Deutschland hatte es schon im Mittelalter ähnliche Hinrichtungsgeräte gegeben.

 

Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, begann die Debatte darüber, wel­che Methode bei der Hinrichtung anzuwenden sei. Zu dieser Zeit waren in Deutschland noch die traditionellen Hinrichtungsarten verbreitet. In den meisten Ländern, darunter auch Preußen, war noch das Handbeil gebräuchlich, während man sich in Bayern, Sachsen, Thü­ringen, Württemberg, Baden, Bremen, Hamburg, Oldenburg und Hessen bereits der Guillotine bediente.

 

Am 14. Oktober 1936 entscheidet Hitler, daß nunmehr das Fallbeil als Richtzeug zu ver­wenden sei. Die Massierung der Todesurteile verlangt schon bald die Rückkehr zur „artfremden“ aber bedeutend schnelleren Methode. Das Töten wird zur Routine. Gut geölte Maschinen, deren enorm schwere Fallbeile immer wieder nachgeschliffen werden müssen, verrichten jetzt die grausige Arbeit.

 

Um den Delinquenten die als besonders qualvoll geltende Wartezeit während des Anschnallens auf dem Kippbrett zu ersparen, wird das Kippbrett durch eine starre Bank ersetzt. Der gefesselte Todeskandidat wird nunmehr von den Gehilfen mit zwei blitzschnellen Handgriffen über diese Bank gelegt, dort kurz festgehalten, bis das Fallbeil herabgefallen ist. Nunmehr dauert eine Hinrichtung keine vier bis fünf Minuten, sondern nur noch Sekunden. Der Scharfrichter kann dem Verurteilten zwar nicht die schreckliche Todesangst nehmen, doch sorgt er so dafür, daß der letzte Moment im Leben des Unglücklichen so kurz wie mög­lich ist."

 

Nach einigem Hin und Her um die Reparatur der alten Guillotine und den Überlegungen um eine Neuanschaffung (mit Angebotseinholung) bestimmt der Reichsminister der Justiz  "...im April 1937, daß das neue Fallbeilgerät im Arbeitsbetrieb des Strafgefängnisses Berlin-Tegel hergestellt werden soll, deren Schlosserei laut „Führerauftrag“ die Fertigung von Guillotinen anvertraut wurde. Die Exekutionsma­schine wird im Mai 1938 von Berlin-Tegel nach Köln versandt. Das nicht mehr brauchbare Kölner Fallbeilgerät wird von Köln als Frachtgut unter der Bezeichnung „Eiserne Maschinen­teile“ nach Berlin versandt.

 

...Anfang 1939 ist der am 13. Oktober 1938 begonnene Bau des Richtraumes in Köln, im Winkel zwischen zwei Flügeln des Klingelpütz gelegen, endlich fertiggestellt. Doch schon am 20. Juni 1938 hatte der Reichsjustizminister bestimmt: „Das der Richtstätte Köln zugewie­sene Richtgerät kann nunmehr in Gebrauch genommen werden. Die in den Oberlandesgerichtsbe­zirken Köln, Düsseldorf und Hamm (ohne die Landgerichtsbezirke Bielefeld und Paderborn) anfallenden Hinrichtungen, sind demgemäß künftig im Gefängnis Köln vorzunehmen."  ...

 

Am 29. Juni 1940, nach nunmehr reichlichem Gebrauch der Tötungsmaschine, wendet sich der Vorstand des Kölner Gefängnisses an die Vorgesetzte Behörde: „Das Messer, des seit November 1938 in Gebrauch genommenen Richtgerätes hat an der Schneide eine harte Stelle, die häufig aus bricht. Es mußte deswegen schon 7mal nachgeschliffen werden. Es wird, da es bei jedes­maligem Schleifen an der Schneide mindestens 2 mm verliert, bei starker Inanspruchnahme wie jetzt während des Krieges in nicht zu ferner Zeit zu kurz und nicht mehr zu gebrauchen sein. Aber auch der Umstand, daß an einem Morgen nicht selten zwei oder mehrere Hinrichtungen stattfin- den, erhöht diese Gefahr. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei der ersten Hinrichtung an dem Fallmesser ein größerer Schaden entsteht, der unter Umständen die weiteren Hinrichtungen in Frage stellen würde. Ich halte deshalb die Beschaffung eines zweiten Fallmessers für erforderlich und bitte, bei dem Herrn Reichsminister der Justiz nachzusuchen. “

 

Nach mehrmaligen dringenden Anforderungen wird am 12. Februar 1941 ein Ersatzmes­ser vom Strafgefängnis Tegel geliefert.

 

Die Guillotine aus dem Klingelpütz wurde 1944 nach der Zerstörung des Hinrichtungsgebäudes durch Bomben  nach Berlin- Moabit bzw. Lehrter Straße ausgelagert. Hier wurde mit ihr am 11. Mai 1949 zum letzten Mal eine Hinrichtung vollzogen.

 

Von dort kam die Guillotine ins Strafvollzugsmuseum von Ludwigsburg.

 

Die Auslagerung 1944 nach Berlin ist verbürgt. Der Verbleib der ursprünglichen Klingelpützguillotine ist unklar.

 

Zusatztexte und ergänzende Dokumente:

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Das Fallbeil
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Die Klingelpützguillotine
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Ablauf der Hinrichtung

 

Das Leid der vergeblichen Hoffnung und das Grauen des nahen gewaltsamen Todes der Verurteilten - wir Nachgeborenen können es niemals erfahren und versuchen doch immer wieder uns darin einzufühlen, sei es, dass wir davon fantasieren und träumen, sei es, dass wir uns Einzelsituationen vorstellen, sei es, dass wir darüber lesen oder sonstwie hören. Niemals werden wir diese letzten Stunden, Minuten, Sekunden des Todgeweihten einfühlen können. Die letzte Stunde bleibt nur Grauen - auch in uns. Deshalb aber flüchten und nicht hinsehen zu wollen, um der Pein des Verurteilten zu entfliehen, führt uns Nachgeborene nur zum Schweigen und Vergessen. Was wir tun können, wenn wir dem Verurteilten nahe kommen und ihn erinnern wollen, ist einzig und allein, dass wir alle unsere Sinne öffnen und uns selbst mit der Qual, die den Verurteilten unmittelbar überwältigte, wenigstens in Worten und Bildern zu konfrontieren. Dem Verurteilten nahe zu kommen heißt dann,

  • ein wenig von dem  nachzuempfinden, was dem Verurteilten damals so unaushaltbar und unmenschlich begegnete,
  • sich selbst dem zumindest in Schattenbildern auszusetzen, was der Verurteilte damals in seinen letzten Stunden erleben oder sehen musste,
  • den Personen begegnen zu wollen, die als Einzige ihn begleiten "durften", sei es der Seelsorger, der Staatsanwalt, der Rechtsanwalt, die Justizbeamten oder auch der Henker mit seinen Gehilfen,
  • da einen Blick zu wagen, wo jeder gerne wegschaut: in den Hinrichtungsraum,
  • auch ein Auge zu riskieren auf das grausame Mordgerät des Fallbeils.

 

Unsere Einfühlung in den Verurteilten mag eine fast lebendige Nähe herstellen zu dem, auf den ein grausamer Tod wartet.

 

Gabriel Weber an seinem Namenstag.

1 Jahr vor seiner Hinrichtung

 

Unsere Einfühlung in den Verurteilten wird in der Folge unsere ablehnende Haltung gegen jede Form körperlicher Strafe und besonders gegen die Todesstrafe verstärken. Die Todesstrafe schafft kein Problem aus der Welt, sie selbst ist das Problem, wo auch immer sie noch verhängt wird.

Wie in keinem anderen Kapitel fällt es schwer, die richtigen Sätze zu finden. Deshalb zitieren wir in diesem Kapitel, was andere vorher mit großer Einfühlung zu beschreiben suchten. Wir zitieren aus den Aufzeichnungen des evangelischen Gefängnisgeistlichen Kühler des Klingelpütz und anderer Zeitzeugen. Hauptsächlich zitieren wir aber  den Historiker Herbert SCHMIDT. Ihm und der Stadt Düsseldorf kommt das große Verdienst zu, alle Todesurteile, die das Sondergericht Düsseldorf gefällt hat und die in Köln vollstreckt wurden, historisch aufgearbeitet zu haben und sich in der Parteinahme für alle Hingerichteten nicht gescheut zu haben, auch auf das Grauen der Hinrichtungen geschaut zu haben. Herbert Schmidts Aufarbeitung sucht in den anderen Städten ihresgleichen. Vielen Dank für diese großartige Arbeit zwischen Wissenschaftlichkeit und Anteilnahme.

 

Der Gefängnisseelsorger als Begleiter für die letzten Stunden

 

SCHMIDT schreibt: "Die Anstaltsseelsorger stehen aus der Sicht der Verurteilten zwischen dem Gericht und dem Scharfrichter. Letztlich waren sie auch Diener und Komplizen dieses Unrechtsregimes, die mit ihrer Hinwendung zwar das todbringende Urteil mildern wollten, aber auch diese Unrechtsmaschine durch ihren Dienst bedienten. ...

 

Haben die Geistlichen, die durch die wachsende Zahl der Hinrichtungen eine immer schwerere Bürde zu tragen haben, resigniert, sich eingebracht in die verhängnisvollen Mächte der jeder Gerechtigkeit Hohn sprechenden Justiz?

 

Dieser seelische Konflikt berührt auch Dr. Kühler, den evangelischen Kölner Gefängnis­pfarrer, der dazu sagt: „Was sollte man antworten, wenn die Kritik am Strafvollzug zu Recht erfolgte? Dann half kein Hinweis auf eine spätere ausgleichende Gerechtigkeit im Himmel, für die der Gefangene als Pragmatiker in dieser Situation wenig Verständnis zeigte. Wenn einer vor mir saß, der nach einem Fliegerangriff aus einem Haus eine Decke im Wert von 35 Reichsmark gestoh­len hatte und dafür zum Tode verurteilt worden war, sollte ich da seine Strafe gerecht nennen? Oder sollte ich da laut gegen die Justiz polemisieren und den Todeskandidaten in seiner inneren Ausnahmesituation dazu bringen, daß er vor der Guillotine rief: ,Der sagt ja auch, daß er dagegen ist!’ Eigentlich hätte ich gegen diese Strafe, die jedes Prinzip der Verhältnismäßigkeit sprengte, pro­testieren müssen. Aber hätte ich den Verurteilten in dieser Situation den letzten Dienst versagen sollen, der ihnen das schwere Los wenigstens etwas erleichterte? Die Seelsorge war keine Anerken­nung des Urteils, sondern die Erfüllung eines Auftrages, den ich als Pfarrer mit der Ordination erhalten hatte. Auf seine Frage nach der Gerechtigkeit konnte ich dem zum Tode Verurteilten letz­ten Endes nur sagen: ,Die stärkere Hand hat Gewalt über uns." (Stadtarchiv Köln: Eg 82: Die Henker vom Klingelpütz 1933-1945. Aus den Aufzeichnungen und Erinnerungen des Gefängnis­pfarrers Dr. Johannes Kühler)" (Schmidt)

 

 ...

Die Ablehnung des Gnadengesuchs und den Beschluss des Gerichtes mit dem genauen Zeitpunkt der Urteilsvollstreckung erhält der Verurteilte am letzten Abend oder sehr früh am Morgen des Todestages." (SCHMIDT 2008, S. 20f.)

 

Gabriel Weber erfährt mit großer Gewissheit zwischen 10.00 und 11.00 Uhr am Donnerstagmorgen (20.08.1942), dass er am Abend um 19.30 hingerichtet wird. Sein Sohn Leo ist zu dieser Zeit in Köln in der Schule, seine Tochter Leni arbeitet in der Küche des Marienkrankenhauses, auch die anderen beiden Söhne sind in der Schule, die Ehefrau bereitete wahrscheinlich das Mittagessen vor. Was ahnten sie, was wussten sie, was hofften sie noch? Was beschäftigte sie an diesem Morgen? Welche Not überwältigte sie?

 

Die Mitteilung über die baldige Hinrichtung "geschieht in offizieller Form im Büro des Gefängnisdirektors durch einen Vertreter der Staatsanwaltschaft. Von nun an darf der Verurteilte keine Sekunde mehr allein gelassen werden. Er bleibt an Händen, manchmal auch zusätzlich an den Füßen gefesselt unter Aufsicht von zwei Wachleuten und dem fast immer gewünschten Geistlichen, dessen Aufgabe es nunmehr ist, dem Verurteilten Trost zu geben, aber auch die entsetzliche Zeit des Wartens zu erleichtern.

 

Reglos auf dem Rücken liegend, als wären sie schon jetzt aufgebahrt, wünschen sich die Todgeweihten im stummen Grauen dieses Momentes, einen Menschen bei sich zu haben, an dem man sich halten kann, der zuhört und der Bereitschaft: zeigt zu verstehen. Es ist die schon so oft gescheiterte Suche nach Nähe und Vertrautheit.

 

Das ist die schwere Pflicht des Seelsorgers in den letzten Stunden, wo er Wache zu halten hat und die Betreuung des Todeskandidaten bis zu dessen letzter Minute seine Aufgabe ist. Er wird versuchen, denen, die diesen schweren Weg gehen müssen, Festigkeit und Gottvertrauen zu geben. Diese Aufgabe des Geistlichen übersteigt die Grenzen menschlicher Leistungskraft; wird aber auch begleitet in dem Bemühen, sich um die Belange der Verurteilten zu kümmern. Die körperlich wie vor allem auch seelisch aufreibende Tätigkeit des immerwährenden Diens­tes in der Todeszelle ist eine Belastung, die man begrifflich nicht fassen kann." (SCHMIDT 2008, S. 22)

 

SCHMIDT zitiert Peter Buchholz, der von 1941-1943 als katholischer Gefängnisseelsorger in der Düssel­dorfer Haftanstalt tätig war: „Ob wir wohl ahnen, wie unsagbar schwer das endlose Warten auf diesen Augenblick war durch Tage, die sich endlos dehnten, und Nächte, die wie Ewig­keiten wurden und doch allzu schnell vorüber gingen, weil sie immer wieder um einen Tag und eine Nacht die letzte Stunde näherkommen ließen? Wie die Todesnähe fast das Herz abdrückte und der einsame Mensch seine Ölbergsnot zum Himmel emporschrie: Vater, wenn es möglich ist, so lass den Kelch vorübergehen — ach wieviel ohnmächtige Qual haben die Todeszellen gesehen, wieviel Tränen geschluckt, wieviel Gebete gehört, wieviel Sehnsuchtsschreie nach der Mutter, Rufe nach Gott, bis das arme Herz bereit war, mit dem Heiland, dem Vater da oben zu sagen: ,Nicht mein, sondern Dein Wille geschehe’, bis zu dem Ja zum Sterbenmüssen, bis zu der frohen Bereit­schaft, mit Christus den Opfer- und Sühnetod zu sterben."  (HStAD: NW Pe 5174, Personalakte Buchholz, Peter, zit. in SCHMIDT2008, S.22)

 

SCHMIDT schreibt weiter: "Es gibt Verurteilte, die kaum ein Wort sprechen und in tiefe Gedanken versunken sind. Es gibt andere, die ihre persönlichen Geheimnisse mitteilen wollen. Wieder andere tun in diesen Stunden ihre Seele auf, zeigen ihren Reichtum an Liebe, Schmerz und Enttäuschung. Sie las­sen teilhaben an ihrem Lebensweg und zeigen dabei einfache Frömmigkeit. Alle wissen, daß sie dem Geistlichen vertrauen dürfen. Hier liegt auch die wahre Aufgabe des Seelsorgers. Kaum jemand wird mit gleicher Verschwiegenheit und Offenheit die Beichte eines Menschen entgegennehmen wie ein Seelsorger unter diesen Umständen. Mancher Verurteilte findet in solchen Stunden die Gelassenheit für den letzten Gang." (ebd.)

 

Der Gefängnisgeistliche Heinrich Gertges (1922 zum Priester geweiht, dann Diözesansekretär bei Kardinal Schulte, danach Gefängnisseelsorger), der nach eigener Auskunft wohl 500 Hinrichtungen begleitet hat, hat sich zu jeder Hinrichtung ausführliche Notizen gefertigt. Er versuchte nach dem Krieg, möglichst viele Angehörige aufzusuchen, von denen er annahm, dass sie seine Informationen wünschten bzw. deren Adresse er hatte. In Frankreich ist Gertges sehr bekannt geworden, weil er nach dem Krieg an Hand seiner Aufzeichnungen vielen über die letzten Stunden ihres Vaters, Ehemanns, Sohnes persönlich berichtet hat. Von ihm erfuhren die meisten überhaupt erst, dass ihr verhafteter Angehöriger tot war. Denn die meisten waren als sogenannte Nacht- und Nebel- Gefangene (NN- Gefangene) verurteilt und hingerichtet worden, ohne dass die Angehörigen informiert worden waren. Seine Frankreich- Aufzeichnungen hat Pfarrer Gertges noch zu Lebzeiten in Frankreich veröffentlicht. (Heinrich Gertges: Les Deportes Francais de la Prison de Cologne. Erstes Vierteljahresheft von "Etudes", Paris 1946, S. 170- 183)

 

Die Geistlichen beider Konfessionen hatten im Klingelpütz enorme "Sonderfreiräume", so dass sie ohne Beisein von Beamten Gespräche mit den Gefangenen führen konnten. Auch die Leitung des Klingelpütz scheint die Geistlichen in besonderer Weise geschützt zu haben. (Vgl. THIESEN 2011, S. 65)

 

Für die luxemburgischen Ermittler deutscher Kriegsverbrechen ist Heinrich Gertges 1945 in ihrem Ermittlungsbericht eine Person mit zweifelhaftem Ruf: "Gertges war der Gefängnisgeistliche. Letzterer erklärte, dass er die Verurteilten auf den Tod vorbereitete, indem er ihnen auf Wunsch die Beichte abnahm, die Hl. Kommunion spendete und ihnen Trost zusprach. Sonderbar ist jedenfalls, dass er als katholischer Priester bei dem sogenannten "Schlachtfest" (dem Essen nach der Hinrichtung, W.P.) nicht fehlte. Wie wir in Erfahrung bringen konnten, war Pfarrer Gertges nazifreundlich und hat deren Taten ohne Einspruch akzeptiert. Nach der Befreiung wurde er als Gefängnispfarrer abgelöst." (Bulletin GREG 2001/2, S. 8)

 

Während des unhistorischen Totalabrisses des Klingelpütz- Gebäudes in den späten 60ern gehörte Gertges zu denen, die sich vehement dafür eingesetzt haben, dass wenigstens ein Gedenkstein an die über 1000 dort hingerichteten Menschen erinnern sollte.

 

Leider hat Pfarrer Gertges für alle seine nicht veröffentlichten Aufzeichnungen verfügt, dass sie bei seinem Tod vernichtet werden sollten. Seine Angehörigen hielten sich bedauerlicherweise an diesen doch sehr zweifelhaften Auftrag. Wie wertvoll wäre es für die Angehörigen gewesen, diese Ausführungen lesen zu können. Eine Ahnung davon bekommen wir, wenn wir bedenken, wieviel öffentliches Aufsehen seine französische Veröffentlichung in den 50er Jahren geweckt hat.

 


 


Der letzte Tag

 

Herbert SCHMIDT schreibt:

"Eine Vollstreckung nimmt die gesamte Haftanstalt seelisch stark in Anspruch. Es kommt dar­auf an, in den Stunden vor der Hinrichtung so leise wie möglich zu sein, um die anderen Gefängnisinsassen nicht unnötig zu beunruhigen. In den halberleuchteten Zellen, in denen hunderte Menschen nachts schlafen sollen, ist die spürbare Unruhe einfach nicht zu verber­gen. Alle Häftlinge fühlen fast körperlich, daß in unmittelbarer Nähe hinter verriegelten Eisentüren ein am Ende seines Lebens stehender Mensch mit aller Inbrunst um sein Leben ringt. Kaum einer von ihnen spricht anders als flüsternd, und so ist die Stille im ganzen Hause unwirklich, fast unerträglich. Alles hat etwas Unheimliches.

 

Träume und Hoffnungen werden in diesen Stunden bei dem Todeskandidaten nochmals wach und doch muss er die unerbittliche Realität erkennen. Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche, die nun alle unerfüllbar werden. Was kann man tun? Ruhe bewahren? Versuchen, die Kontrolle über sich selbst zu behalten?

 

Der Wunsch der Verurteilten, nach Verkündung des Vollstreckungstermins ihre Angehö­rigen vor dem Tode noch einmal zu sehen, wird abgelehnt. Die Beamten, die Wache zu halten haben, geben in ihren Berichten kurz und lapidar die Reaktion auf die Bekanntgabe der Hin­richtung und schildern dann die letzten Stunden der zum Tode verurteilten Männer und Frauen. Bei den Aufsichtsbeamten handelt es sich meist um altgediente Soldaten, die selbst erschüttert waren, besonders in den ersten Jahren des NS-Regimes, als die Todesurteile noch eine Ausnahme waren und keine alltäglichen Ereignisse. Diese einfachen Menschen, die ihre eigene Nervosität auf die Gefangenen übertragen, die sie zu betreuen haben, sind einfach überfordert. Die immer schneller und unruhiger verlaufende Zeit wird zum Menetekel der auf ihre Hinrichtung wartenden Unglücklichen. Sie zählen wahrscheinlich die Sekunden, Minuten und Stunden, die sie vom Tode trennen, und hoffen auf ein Wunder, daß sie von all dem befreien würde. Stumpfe und Erschöpfte werfen sich auf ihre Pritsche und schlafen einige Stunden, scheinbar ungerührt vom nahen Tod. Sie läßt man schlafen, es ist wohl der leichteste Weg.

 

Die Nacht, die nach Minuten gezählt wird, vergeht viel zu schnell. Und wenn der Morgen sein erstes Licht in die Todeszelle wirft, kommt die Krise für die Betroffenen. Niemand wird von ihr verschont. Die Gewißheit der nahen Todesstunde läßt die Verurteilten seelische Qua­len erleiden, die so ungeheuerlich sind, daß kein Mensch, der diese grausame Situation nicht erlebt hat, sich dies vorzustellen vermag. Gewöhnlich dringt dann in das Schweigen oder in das halblaut geführte Gespräch ein Alltagsgeräusch - wie das Lärmen einer Großstadt in den Morgenstunden oder gar der Ruf eines Vogels - in die Zelle, und der Gefangene zuckt zusam­men und fragt zum x-ten Male nach der Zeit, nach der ihm noch verbleibenden Lebenszeit. Immer wieder. Dann hört man Schritte, unverständliche Worte, Stille.

 

Eine Zellentür wird aufgeschlossen, Unruhe, Scharren von Stiefeln, Wortfetzen, unver­ständlich, dann hallende Schritte, die langsam leiser werden. Was geschieht? Wieder Geräu­sche auf dem Zellenflur, Geräusche mit Ankündigungscharakter, wieder Unruhe und wieder verliert sich der Nachhall der Schritte. Noch einmal eine Frist. Leichteres Atmen, aber schon wieder setzt die Angst ein, vergiftet die gewonnene Zeit. Wann kommt die endgültige Ent­scheidung?" (SCHMIDT 2008, S.23f.)

 

Auch das sei erwähnt: Der 20.August 1942, der Hinrichtungstag für Gabriel Weber, ist ein wundervoller Sommertag. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel. Ob Gabriel Weber das auf seinem Weg vom Gefängniskrankenhaus zur Hinrichtung noch einmal wahr genommen hat?

 

 

 

Die Abschiedsbriefe

 

Herbert SCHMIDT schreibt:

"Der endgültige Abschied fällt all den Heimgesuchten mehr als schwer, und je tiefer der ein­zelne in seinem Leben verwurzelt ist, etwa in Verbindung mit seiner Familie, um so schwerer ist die letzte Stunde für ihn. Hastige Abschiedsbriefe, manchmal in ihrer Einfachheit erschüt­ternd und ergreifend, werden mit zitternder Hand verfaßt, wissen doch die Abschiedneh­menden, daß ihr Leben eher zu Ende sein wird als die zu trocknende Tinte.

 

Beim Aufsetzen der Abschiedsbriefe war die Hilfe der Geistlichen sehr gefragt, denn viele dieser einfachen Menschen konnten sich, oft durch ihre schlechte Schulbildung bedingt, nicht äußern, andere wegen der starken Aufregung nicht konzentrieren. So konnte der Geist­liche helfen, sei es in der Formulierung oder der Anregung, das auszudrücken, was der Schrei­ber sagen wollte aber nicht konnte. So schreibt der Pfarrer diese Briefe noch einmal in seine Maschine. Das Original des Verurteilten geht an die Angehörigen, der Durchschlag kommt zu den Akten der Staatsanwaltschaft.

 

Eindrucksvoll und erschütternd rührt uns aus diesen Briefen der einfache Glaube an, daß der Beginn des ewigen Lebens unmittelbar bevorstehe. Viele hoffen, daß die Guillotine nur die dunkle Pforte ist, hinter der das ewige Licht leuchten wird. Man versucht in den Abschiedszeilen an die Angehörigen stark zu erscheinen, aber die tiefe Verzweiflung zeigt sich, wenn der Verurteilte sich Sorgen um Frau, Kinder und Familie macht, besonders bei kleine­ren Kindern. Daß der Verurteilte sich schämt, seiner Familie so viel Schreckliches angetan zu haben, wird immer wieder beteuert und steht im Vordergrund der Abschiedsgedanken." (SCHMIDT)

 

Auch Gabriel Weber schreibt einen bewegenden Abschiedsbrief an seine Frau und die Kinder. Der Sohn Leo bewahrt ihn 72 Jahre wie einen kostbaren Schatz. Immer wieder muss er diesen Brief lesen. Je älter er wird, umso häufiger. Bis er ihn täglich lesen muss. Die Tränen danach sind nicht zu zählen. 2014 (!) glaubt er, sich nicht länger quälen zu dürfen und verbrennt den Abschiedsbrief seines Vaters und auch die anderen 9 Briefe, die die Familie aus der Haft erreicht haben.

Der letzte Gang

 

Herbert SCHMIDT schreibt:

"Als ein altes Gewohnheitsrecht des Delinquenten galt die Henkersmahlzeit. Der Verurteilte hatte das Recht, sich noch einmal, das letzte Mal in seinem Leben, ein Essen nach seinem Wunsch auszuwählen. Die ganze Nacht steht die Küche bereit, Extrawünsche zu erfüllen. Bier wird in den letzten Jahren des Krieges verboten, Kaffee und Limonade gibt es bis zum Ende der Schreckensherrschaft. Dr. Kühler berichtet: „Den meisten verging infolgedessen, was sie erwartete, der Appetit. In dieser so prekären Situation hatte der Wunsch nach einer Abschieds­speise eine nur untergeordnete Bedeutung."  Ein Gefängnisinspektor hält dagegen: „Manche der Todeskandidaten haben Berge gefressen ... Viele rauchten bis zur Hinrichtung eine Zigarette nach der anderen. Manche mußten wir den Glimmstengel beim Abführen auf dem Hof mit Gewalt aus dem Mund entfernen.“

 

Auch wurde dieses Recht im Laufe des Krieges immer mehr eingeschränkt und entfiel bis­weilen ganz. Zu rauchen gab es durchweg, und davon wurde reichlich Gebrauch gemacht.

 

Durch die Geschwindigkeit der Geschehnisse wurde alle Fähigkeit des Gefühls und des Denkens den Schwergeprüften genommen, und so warteten sie reglos und wortlos, nichts mehr erwartend und kaum noch dem Lebendigen zugewandt. Langsam, langsam geht es dem Tode entgegen. Trotz des jäh aufgerissenen Schreckens bleiben die Verurteilten fast immer ruhig, sie starren schweigend vor sich hin, in den blassen Gesichtern glühen die Augen, man­che weinen still in sich hinein. Es kommt zu keinem Widerstand der Unglücklichen, sich gegen das Schicksal noch im letzten Augenblick zu wehren. Die meisten haben sich mit ihrem Los abgefunden. Sie sind verstört, sehr traurig, es fällt ihnen schwer, ihre Erschütterung zu verbergen, aber die Entscheidung ist so unerbittlich, daß sie ihr einfach folgen.

 

Körperlicher Widerstand der Todeskandidaten ist aus den vom Verfasser eingesehenen Akten nicht zu erkennen. Wahrscheinlich ist diese Lähmung des Widerstandswillens von dem Bewußtsein der ungeheuren Macht des Staates beeinflußt, dem die Sterblichen wie einer Naturgewalt unterlagen." (SCHMIDT 2008, S.)

 

Unmittelbar nach der Verkündung des Hinrichtungstermins wurde der Häftling gefesselt und in eine Einzelzelle im Hinrichtungsgebäude gebracht. Es waren sehr kleine Räume, in welchen die Verurteilten sich kaum bewegen konnten. So harrten sie unter dauernder Beaufsichtigung auf ihr Schicksal. Die Oberaufsicht führte in der Regel Franz Weber, ein fanatischer Parteigänger und SA- Mann. Er wurde nach dem Krieg von der Luxemburger Justiz gefangen gesetzt.

 

SCHMIDT weiter: "Die Vollstreckungsordnung bestimmte, daß zwei Gefängnisbeamte dem Todeskandidaten Handfesseln anlegten, und ihn, begleitet vom Anstaltsgeistlichen, aus seiner Zelle zur Richt­stätte brachten. Vorher werden die Todeskandidaten von den Beamten für die Hinrichtung vorbereitet. Sie entblößen den Oberkörper und binden die Hände mit einer Schnur auf den Rücken. Die Jacke wird lose über die Schulter geworfen. Bei Frauen werden die Haare hoch­gesteckt. So geht es aus der Zelle über den Hof zum Hinrichtungsgebäude. Der Geistliche folgt der Gruppe.

 

Alle Verurteilten haben diesem Augenblick entgegengebangt, in angstvoller Spannung verharrt, bis ihre Zellentür sich öffnet und die Boten des Scharfrichters sie holen für den letz­ten Weg, der so kurz ist und doch so weit weg führt in ein Land, aus dem es kein Zurück mehr gibt.

 

Während dieses schweren Ganges über die matt erleuchteten Gänge der Haftanstalt und schließlich vor dem Tribunal am Hinrichtungsort Ruhe zu bewahren, die Kontrolle über sich selbst zu behalten, geschah sicher nur unter Aufbietung allen Willens. Träume und Hoffnun­gen waren zu diesem Zeitpunkt für immer vorbei." (SCHMIDT)

 

Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass Gabriel Weber bei seinem Gang zum Schafott nicht nur den katholischen Gefängnisgeistlichen Gertges an seiner Seite hatte sondern auch - von diesem in den Klingelpütz eingeschleust - Kaplan Esser aus seiner Heimatgemeinde St. Margareta in Brühl. In jedem Fall hat Kaplan Esser Gabiel Weber noch in den letzten Tagen besuchen können. Kaplan Esser wird noch am Abend des Todes die Witwe und die Kinder besuchen. Er wird auch in der Anatomie in Bonn die Leiche herauskaufen. Kaplan Esser war eng befreundet mit Gabriel Weber und gehörte zur Skatrunde mit Weber, Giefer, Nieder und Johannes Wichterich, die sich gerne im Schützenhof und auch im Ratskeller in Brühl, dem Ort, wo das Unheil seinen Ausgang nahm, zum Skatspielen trafen. Auch der Gefängnisarzt (wahrscheinlich der Assistent Pehle) ist anwesend.

 

"Im Hinrichtungsgebäude des Kölner Gefängnisses, einem steinernen, einstöckigen Back­steinbau mit zwei Räumen aus dem Jahre 1938, nehmen der Oberstaatsanwalt oder sein Vertreter, der angereiste Scharfrichter und seine Gehilfen an der Guillotine noch eine Fallprobe ab. Ein von der Gefängnisverwaltung angestellter Schlosser ist verantwortlich, daß das Fallbeil immer gut geschmiert und gegen Rost behandelt wird. Präzision wird verlangt.

 

Der größere Raum ist für den Vollzug hergerichtet. Das in einer Ecke stehende Richtgerät wird von einem massiven hölzernen Fundament getragen. Das mit einer Bleiumrandung ver­stärkte und damit auch beschwerte Fallmesser wiegt 133 Pfund, läuft zwischen zwei eisernen Laufschienen und wird beim Vollzug vom Henker durch einen Hebel ausgelöst. Ein längli­cher Tisch mit vier Stühlen vervollständigt den Raum. Ein einfaches Waschbecken ist an der Wand angebracht.

 

Der nebenan liegende Raum ist der Sezierraum. Auf dem dort befindlichen Tisch werden die Hingerichteten, deren Angehörige die Gebühr für eine Beerdigung nicht bezahlen kön­nen oder wollen, von angereisten Ärzten der Anatomien verschiedener Universitäten obdu­ziert. In einem Thermosbehälter wird das Blut der Hingerichteten aufgefangen und später für medizinische Zwecke verwendet. Ihre Körper werden der medizinischen Wissenschaft über­geben.

 

Wenn der Verurteilte den Hinrichtungsraum betritt, ist die Fallbeilmaschine mit einem an einer Deckenschiene angebrachten schwarzen Vorhang noch verdeckt. Der Vertreter der Anklage, der Scharfrichter und seine drei Gehilfen sind anwesend; eine Schreibkraft sitzt am Tisch. Der Staatsanwalt ist wie der Geistliche in schwarzer Amtstracht erschienen. Die Robe des Anklägers ist mit dem Hakenkreuzemblem versehen." (SCHMIDT 2008, S.25f.)

 

Auch die Gehilfen des Henkers stecken in schwarzen Anzügen und wirken mit ihren Zylindern auf dem Kopf "wie Kommödianten eines Kinderzirkus" (WÜLLENWEBER 1990, S. 60) Im heiligen Köln lässt der leitende Staatsanwalt "jedesmal neben dem Blutgerüst ein Kruzifix auf einen mit schwarzem Tuch bedeckten Tisch stellen und zwei Kerzen anzünden" (ebd.)

 

Der Hinrichtungsraum war etwa 20qm groß, an den Wänden befanden sich gelbe Fliesen bis zu einer Höhe von 1,50m. Auch der Boden war entsprechend gelb gefliest, "vergleichbar mit einem Schlachtraum eines hiesigen Landmetzgers" (Bulletin GREG 2001/2, S. 6), wie sich der Luxemburger Paul Rippinger erinnert, der als Mitglied des "Office National pour la Recherche des Crimes de Guerre" im Herbst 1945 den Klingelpütz inspizierte und Befragungen des Personals durchführte. "Sobald der Verurteilte den Raum betrat, sah er sich dem "hohen Gericht" gegenüber, das links am Eingang Aufstellung bezogen hatte" berichtet Rippinger. Zu dem "hohen Gericht" gehörte der Scharfrichter und seine beiden Gesellen, der verantwortliche Staatsanwalt und der Leiter der Anstalt bzw. sein Vertreter.

 

 

SCHMIDT schreibt: 

"Der Anklagevertreter stellt zum letzten Mal die Personalien fest. Er fragt nach Namen, Geburtstag und Ort. Nach Beantwortung durch den Verurteilten wendet sich der Staatsan­walt an den meist mit Zylinder, weißen Handschuhen und Gehrock bekleideten Scharfrich­ter und bestimmt:

 

„Herr Scharfrichter walten Sie Ihres Amtes. “

 

Die schwarze Augenbinde, die den Verurteilten vor der Hinrichtung angelegt wird, ver­bietet, das Schreckliche zu erkennen. Doch manche der Unglücklichen versuchen, die Binde mit der Schulter abzustreifen, um vielleicht noch einmal, zum letzten Mal, etwas sehen zu können. Jetzt muss einer der Helfer dem zum Tode Geführten mit einer Hand die Augen zuhalten, während dieser von anderen Gehilfen zu der Richtbank geleitet wird.

 

Die Gehilfen ziehen den Vorhang zurück, packen den Delinquenten, und mit traum- wandlerischer Sicherheit und Schnelligkeit bringen sie ihn mit dem Gesicht nach unten, die Hände auf dem Rücken, auf das Brett. Er liegt jetzt anderthalb Meter über dem Boden. Sie schieben den Kopf durch die kreisförmige Öffnung des sogenannten Halsbrettes, dessen obere Hälfte durch ein Scharnier auf- und zugeklappt werden kann. Nach dem Niedersenken des Brettes liegt der Hals fest in der Umrandung. Die Gehilfen halten den Körper mit Gewalt fest. Der Scharfrichter selbst berührt das Opfer nicht einmal.

 

Aus mehreren Metern Höhe stürzt das scharfe, schräg angeschliffene blausilberne Messer mit einem surrenden Geräusch auf den Nacken des Todgeweihten. Der abgetrennte Kopf in ein Gefäß.

 

Die Hinrichtungsprozedur dauert vom Aufziehen des Vorhanges bis zum Fallen der Schneide nicht länger als durchschnittlich zehn Sekunden. Nunmehr meldet der Scharfrich­ter dem Staatsanwalt in hundertfach erprobter Routine und militärisch strammer Haltung:

 

„Herr Staatsanwalt, das Urteil ist vollstreckt. “

 

Wie um das Finale noch zu steigern, legen die Gehilfen des Scharfrichters den Kopf beim Einsargen zwischen die Beine des noch Zuckenden, wie es von mehreren Exekutionen über­liefert ist.

 

Das Blut der Geköpften fließt über eine Rinne an der Halskrause des Hinrichtungsgerätes in einen Behälter, der der Pharmaindustrie zur Verwendung abgeliefert wird. (Blutserumgewinnung in Marburg, W. P.) Die Gehilfen schließen den Vorhang und reinigen das Gerät und den Raum. Nun werden die Blutspuren mit einem Wasserschlauch beseitigt, und schon nach wenigen Minuten kann sich der Vor­gang wiederholen. Nach Zeugnissen von Vollzugsbeamten wurde von der Anstaltsleitung besonderer Wert darauf gelegt, daß „allergrößte Sauberkeit“ oberstes Gebot sei. ...

 

 

Die an der Hinrichtung beteiligte Gruppe von sechs bis acht Personen, so der Anwalt, der Arzt, der Vertreter der Anklagebehörde, der Gefängnisdirektor oder sein Vertreter, ist von den Geschehnissen meist sehr mitgenommen, so daß sie sich zum überwiegenden Teil noch zu einer Stärkung mit Kaffee, Brot und Aufschnitt zusammensetzt. Der Scharfrichter und seine Gehilfen nehmen an diesen Treffen fast nie teil." (SCHMIDT 2008, S. 26f.)

 

"Die Kleidung der weiblichen Toten, die im Gegensatz zu den männlichen Gefangenen ihre Oberbekleidung vor der Hinrichtung nicht ausziehen mussten, wurde nach der Hinrichtung im Heizungskeller verbrannt, da sie völlig mit Blut verschmutzt war. Die Bekleidung der Männer wurde dagegen wieder für nachfolgende Gefangene benutzt." (THIESEN, S.186)

 

RIPPINGER, luxemburgischer Ermittler für Kriegsverbrechen, schreibt in seinen Erinnerungen: "Nach dieser scheußlichen Tat begaben sich die bei der Exekution anwesenden Herrschaften in einen anderen Raum, allwo das sogenannte "Schlachtfest" gefeiert wurde. Wie wir ermitteln konnten, standen jedem der Beteiligten 5 Brötchen, Wurst, Bohnenkaffee und Zigaretten zur Verfügung. Die grausige Arbeit hatte bei den Beeteiligten keine Auswirkung auf ihren Appetit, eine Verrohung, die unfassbar ist. Das aufgefangene Blut der Opfer wurde den Bayerwerken zugeleitet. Der Henker bekam neben seinem normalen Gehalt für die erste Hinrichtung des Tages 40 RM und für alle nachfolgenden 30 RM. Das Blut der Opfer, welches den Bayerwerken zugeleitet wurde, ließ er sich zusätzlich bezahlen." (Bulletin GREG 2001/2 S. 7)

 

 

 

Im Fall des Gabriel Weber wurde die Leiche unmittelbar nach der Ermordung in den von der Anatomie Bonn bereitgestellten Sarg gelegt und mit dem Auto der Anatomie nach Bonn gebracht. Der Eingang der Leiche wird dort handschriftlich auf dem Zuweisungsbescheid des Staatsanwalts für denselben Abend bestätigt. Die Leiche wird aber nicht ins Leichenbuch eingetragen, weil sie  gegen eine unbekannte Summe Geldes von Kaplan Esser zurückgekauft wird, um sie auf dem Nordfriedhof Bonn beerdigen zu können. Die Angehörigen waren auch im Fall Weber über die Hinrichtung nicht informiert. Selbstverständlich hatten sie nicht - wie es im Brief des Staatsanwalts Meissner heißt -  auf die Herausgabe der Leiche verzichtet. Sie sind gar nicht erst gefragt worden.

 

 

Kaplan Esser (links) 1957 bei der Primiz des Sohnes Willi Weber, neben ihm Herr und Frau Nieder



Die Ehefrau erfährt wohl noch am Abend durch Kaplan Esser von der Hinrichtung. Das Kind Leo erfährt davon erst am nächsten Mittag, als er mit seinem Freund aus der Schule in Köln zur Haltestelle der Köln- Bonner- Eisenbahn in Brühl kommt. Dort hängt das blutrote Plakat mit der Hinrichtungsmitteilung. Auf blutrotem Papier wurden die Todesurteile in Köln und den Orten der "Verbrechen" für die gesamte Bevölkerung zur Abschreckung hundertfach plakatiert. Am Abend türmen er und sein großer Bruder Johannes aus der Obhut der Mutter, um dieses Plakat von der Wand zu reißen. Hilflose Wut, die fast bewirkt hätte, dass auch sie hätten schwer bestraft werden können. Niemand sieht sie, niemand verpfeift sie. Es ist eben verdammt wenig, was sie noch tun können.

 

Hier die  Bekanntmachung über die Hinrichtung des Gabriel Weber am 20. August 1942 (aus der Personalakte des Gabriel Weber bei der Stadt Brühl)

 

 

 

Die Hinrichtung des Delinquenten Gabriel Weber wird in der medizinischen Krankenakte auch förmlich und medizinbürokratisch korrekt vermerkt. Ärztliche Feststellung, dass der Delinquent hingerichtet: am 20.08.1942 abends 19.30.

 

Zusätzlich vermerkt der Arzt in fahriger Stenokurzschrift und wertend, dass der Gefangene "sehr schlapp" sei und dabei "nicht sympathisch wirkt". Eine erstaunliche Schlussbemerkung über einen Menschen, der kurz vor seiner Hinrichtung "zittert" und zu "jammern" anfängt, "er habe doch nur..." Das letzte Wort des Gabriel Weber war ein anderes als das der meisten Hinrichtungsopfer: die meisten rufen in ihren letzten Worten nach ihrer Mutter. Gabriel Weber ruft nach seinem "Vater", den er als 6jähriger Junge verloren hatte.

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Aus der Krankenakte des Gabriel Weber: Hinrichtungsnotiz des Gefängnisarztes in Kurzschrift
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Hinrichtungsnotiz Arzt (Übersetzung)
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Zusatztexte und zusätzliche Dokumente:

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Aufzeichnungen des Gefängnispfarrers Dr. Hans Kühler
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Schreiben des Staatsanwalts an die Anatomie Bonn zur vollzogenen Hinrichtung des Gabriel Weber

 

Die bürokratischen Abläufe sind nach der Hinrichtung vorgegeben: die Leiche soll in der Anatomie entsorgt werden. Die Bürokratie verweist darauf, dass die Hinrichtung auch pünktlich erfolgte. Der Staatsanwalt bedauert zynisch und floskelhaft im Namen des Justizministers (Schlegelberger), dass dieser besten Willens den Gnadenerweis geprüft habe, sich aber leider gezwungen sehe, der "Gerechtigkeit" ihren Lauf zu lassen. Man weiß gar nicht recht, wen man bedauern soll: den Toten oder den Justizminister für seine schwere Aufgabe. Der Transport der Leiche und die näheren Umstände des Verfahrens, auch das vorliegende Schreiben sollen grundsätzlich geheim bleiben, auf die Schweigepflicht der Beamten wird gesondert hingewiesen.


Presse: Die Hinrichtung Gabriel Webers ist in der Presse "Westdeutscher Beobachter", Ausgabe für die Stadt Köln und auch Ausgabe für Köln- Land am 22.08.1942 als kleine Notiz am Rande vermerkt:

 

"Am 20. August 1942 ist der am 12. August 1893 in Weißenthurm bei Koblenz geborene Gabriel Weber hingerichtet worden, den das Sondergericht Köln als Volksschädling wegen Kriegswirtschaftsverbrechens zum Tode verurteilt hat. Weber hat auf einer Amtsstelle in großem Umfang Lebensmittelkarten veruntreut."  (Nr. 426)

Kurzmeldung der Hinrichtung


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